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Internet und Gesellschaft, Naomi Wolf

“Wie zerstört man eine Demokratie?” Teil III

Naomi Wolf zum III.
Im dritten Teil der Rezension geht es um die willkürliche Verhaftung von Menschen, die Infiltration von Bürgerbewegungen und die Entwicklung einer paramilitärischen Truppe.

Vielen Dank für die vielen Reaktionen, die ich bereits auf meine Rezension von Naomi Wolfs Buch erhielt. Es macht mich glücklich und beeindruckt mich, wie viele nun die Lektüre des Buches planen oder sogar bereits – parallel mit mir – das Buch vor sich liegen haben. Daher noch ein kurzer Hinweis:
Die Zitate erfolgen nach den üblichen Zitationsregeln, das heißt, es ist die betreffende Seite angegeben, und Auslassungen bzw. Ergänzungen mache ich explizit deutlich [Eckige Klammern]. Ihr könnt Euch also bei der Lektüre dieser Rezension darauf verlassen, dass ich versuche, so korrekt wie möglich die deutsche Fassung des Buches wiederzugeben. Für die Übersetzung kann ich meine Hände nicht ins Feuer legen:-)
Zu den ersten beiden Teilen der Rezension geht es hier und hier.

„Beim Marsch in den Faschismus wird die Wahrheit als ungehörig dargestellt, als zerstörerisch und aufwieglerisch.“ (152)

Die willkürliche Verhaftung von Menschen

2002 fand Naomi Wolf heraus, warum sie an den Flughäfen stets einer Extra-Kontrolle unterzogen wurde. Als sie an eine zuvorkommende Flughafenmitarbeiterin kam, entgegnete diese ihr auf ihre Anfrage: „Sie stehen auf der Liste.“ (156)
Ihre Recherchen ergaben:
„Bei den amerikanischen Staatsbürgern, die auf dieser Liste stehen und nicht dem Terroristenprofil entsprechen, handelt es sich um Journalisten und Intellektuelle, die das Weiße Haus kritisiert haben, um Bürgerrechtler und sogar um Politiker, die ebenfalls ihre Meinung kundgetan haben.“ (156)

Die Existenz dieser Liste ist vor allem deshalb alarmierend, weil KritikerInnen und BürgerrechtlerInnen genau wie Terrorverdächtige geführt werden. Und weil sie unglaublich lang ist. 2006 umfasste die „Liste der Personen, die gesondert durchsucht werden sollen, […] 75.000 Namen. Die strengere Liste mit Personen, die nicht fliegen durften, umfasst 45.000 Namen. Vor dem 11. September waren es nur sechzehn.“ (160)

Die inkraft getretenen Anti-Terror-Gesetze erlauben nicht nur diese gesonderten Durchsuchungen. Sie nehmen den Menschen die Gewissheit auf nicht-willkürliche Festnahme und auf sicheren Arrest (157). Das bedeutet, vor allem Menschen, die auf dieser Liste stehen, müssen befürchten, willkürlich verhaftet, verhört und wieder freigelassen zu werden. Ohne, dass sie sich gegen eine solche Behandlung wehren können. Das Gesetz legitimiert das Vorgehen im Namen der Sicherheit.

„Menschen, die beim Staat in Ungnade gefallen sind, die Ein- und Ausreise zu erschweren ist ein klassischer Bestandteil des faschistischen Repertoires.“ (162)

Naomi Wolf untermauert ihre Analyse mit Beispielen von willkürlichen Festnahmen und Verhören, unter anderem erzählt sie, wie Yusuf Islam alias Cat Stevens 2004 aus „Gründen der nationalen Sicherheit“ verhört wurde. (158) Diese und eine ganze Reihe weiterer Verhaftungen „[tragen] dazu bei, die Grenzen zu verwischen – er ist einer von uns“. (158)

Die Überwachung der Bürger und die willkürliche Verhaftung von Menschen greifen methodisch ineinander. Bürger, die Angst davor haben, verhört oder verhaftet zu werden, engagieren sich nicht mehr politisch und achten darauf, was sie sagen. Als der NSA-Skandal öffentlich wurde, konnte man bei uns zahlreiche Beispiele der Schere im Kopf mitverfolgen. Deutsche sagten oder schrieben, dass sie sich nicht amerika-kritisch äußern werden, da sie z.B. beruflich in der nächsten Zeit einreisen wollten und Komplikationen fürchteten. Die Bürger überwachen sich selbst.

In ihrem Abschnitt Die Verfolgung einzelner Bürger beschreibt Naomi Wolf weitere Fälle, in denen Personen aufgrund ihrer Tätigkeit gesondert überwacht und verhört wurden. Dies betraf in erster Linie Intellektuelle und KünstlerInnen. In jedem faschistischen System gehören diese Gruppen zu den „üblichen Verdächtigen“. (180)

Brisant, aber vielleicht weniger überraschend, ist in diesem Zusammenhang der Fall des deutschen Schriftstellers Trojanow, dem aktuell die Einreise in die USA verweigert wurde. Hier ein Interview auf Spiegel Online.

Die Infiltration von Bürgerbewegungen

Wie auch bei der Überwachung der Bürger handelt es sich bei der Infiltration von Bürgertreffen vor allem um ein wirksames psychisches Druckmittel. Wer sich mit Gleichgesinnten trifft und fürchten muss, dass er beobachtet und möglicherweise denunziert wird, ist in seiner Meinungsäußerung nicht frei:

„In Diktaturen und angehenden Diktaturen werden regelmäßig legale Bürgerbewegungen infiltriert, um den Machthabern Bericht zu erstatten. […] damit sollte verhindert werden, dass sich die Mitglieder als mündige Bürger betätigten.“ (149)

Naomi beschreibt, wie stark die Zahl der Geheimdienst- und Polizeimitarbeiter, die Bürgerinitiativen infiltrierten, in den letzten Jahren gestiegen ist. Und sie zeigt Fälle, in denen führende AktivistInnen bedroht und Initiativen unterwandert wurden. Das Problem dabei: Bürgerliches Engagement wird zurückgefahren, die Menschen fliehen in die Privatheit, tauschen sich nicht mehr aus. Zuletzt führt es dazu, dass aus Angst keiner mehr die politische Meinung der Nachbarn kennt.
Nicht umsonst gibt es in den meisten Demokratien gegen ein solches Vorgehen Gesetze.

Als bei der Freiheit statt Angst in Berlin öffentlich bekannt gegeben wurde, dass PolizistInnen in Zivil beim schwarzen Block mitliefen, machten sich die Anwesenden schlicht darüber lustig. Der Luxus einer funktionierenden Demokratie?

Die Entwicklung einer paramilitärischen Gruppe

Überwachung, Verhaftung und Unterwanderung zielen auf die Angst der Menschen, sich öffentlich kritisch zu äußern. Die faschistische Verschiebung benötigt als nächsten Schritt und zur Verstärkung der Einschüchterung nun noch eine Schlägertruppe. Für die Arbeit, die z.B. der Polizei durch Gesetze untersagt ist.

Naomi Wolfs Ausführungen bleiben beängstigend. Sie beruft sich in diesem Abschnitt auf die Angaben eines weiteren Autors, Jeremy Scahill, der zeigt, dass sich seit 2001 weltweit Söldnertruppen bilden. Die größte bekannte Gruppe in den USA ist das Sicherheitsunternehmen, das unter dem Namen Blackwater bekannt wurde.
Blackwater hatte bereits 2006 eine beeindruckende Größe erreicht. Heute heißt die Firma Academi und gibt keine Angaben über verfügbare Truppenstärken mehr preis. Wohl aber feiert die Academi auf ihrer Website ihre Erfolge im Irak-Krieg und die Beteiligung bei der „Jagd“ nach Bin Laden, sowie die Errichtung eines Ausbildungscamps für Söldner Leibwächter. Wenn Ihr mal etwas Gruseliges lesen wollt, klickt Euch durch deren Homepage. Beachtet den Unterpunkt “Train“. Irgendwelche Assoziationen?

Naomi Wolf vergleicht die Blackwater-Gruppe mit Hitlers Waffen-SS. Nicht von ungefähr, denn eine private „Sicherheits“-Firma ist – wie die SS damals – auch ohne Mitsprache des Kongresses voll einsatzbereit und viel flexibler als die eigene Armee (Vgl. 126). Wie die Nationalsozialisten versuchen auch Amerikaner „mit Gesetzen, ihre paramilitärischen Truppen rückwirkend vor einer Anklage wegen Kriegsverbrechen zu schützen.“ (126) „Blackwater hat offen erklärt, dass seine Truppen über dem Gesetz stehen“ (Scahill, bei Naomi Wolf 127). Hierfür wurde dem Kongress die „Order 17“ zur Verabschiedung vorgelegt, über die ich leider keine weiteren Informationen finden konnte.

Besonders erschreckend ist darüber hinaus nicht nur der Fakt, dass dem Präsident der USA (und, da es sich um eine Söldnertruppe handelt, quasi jedem mit genügend Geld), „eine ausgebildete Privatarmee“ zur Verfügung steht, die „vom Kongress nicht kontrolliert wird“ (127), sondern auch, dass diese Armee bereits vom Ministerium für Heimatschutz auf amerikanischem Boden gegen die Bürger der Vereinigten Staaten eingesetzt wurde. Nach dem Hurricane Katrina patrouillierten sie in den Straßen, zur Gewährleistung der „Sicherheit“ der Menschen. Danach ließ Blackwater verlauten, „seine Privatarmee [künftig] verstärkt in den USA einzusetzen – nach Naturkatastrophen oder bei ,nationalen‘ Notständen“. (129)

Naomi Wolf relativiert: Bis zur Waffen-SS sei es noch weit. Aber die schlichte Existenz einer solchen paramilitärischen Einheit muss in einem demokratischen System als faschistische Verschiebung aufgefasst werden. Denn woher kommen die enormen Mittel für Ausbildung und Einsätze der paramilitärischen Truppe? Laut Jeremy Scahill beliefen sich die Rechnungen des Unternehmens bis 2006 auf etwa 73 Millionen Dollar. (128)

Den letzten Abschnitten des Buches möchte ich einen weiteren Blogpost widmen. Vor allem die detaillierten Ausführungen zur Einschränkung der Pressefreiheit nehmen einen gewissen Raum ein – und beinhalten eine wichtige Warnung für uns.

Ich verweise auf den sehr aktuellen Artikel bei heise online, in dem Geheimdienst-Mitarbeiter erklären, inwiefern sie die Grenze zu einem autoritären Staat in den USA überschritten sehen, wie die Überwachung der Menschen im Einzelnen funktioniert, und warum sie die USA als „weiche Tyrannei“ bezeichnen.

Nächste Woche dann Naomi Wolf-Finale. Danke Euch fürs Lesen!

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