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Alltag, In eigener Sache

Die Angst vor dem Fliegen

Das Bild zeigt ein Flugzeug am Flughafen kurz vor dem Boarding.

Ephemer: Etwas, das nur kurze Zeit besteht und schnell vorüber ist. Auch: Flüchtig, ohne bleibende Bedeutung.

Kaum etwas ist so ephemer wie die Angstreaktion des eigenen Körpers. In einem Augenblick intensivst gefühlt, das Herz zum Stolpern bringend, die Luft nehmend, die Augen vor Schreck weitend. Die Sekunden dehnen sich, die Wahrnehmung wird scharf, der Körper ist voll da und gleichzeitig nicht vorhanden. Im Kopf kein einziger klarer Gedanke, oder zumindest: Kein ganzer Satz. Vielleicht ein einzelnes Wort, vielleicht nur ein Laut.

Im nächsten Augenblick ist sie weg, ohne nennenswerte Spuren zu hinterlassen. Du atmest aus. Du entspannst. Du bist noch einmal davongekommen.

Meine Flugangst benimmt sich dagegen etwas merkwürdig, faszinierend anders und dann doch wieder ähnlich. Die meiste Zeit ist sie vollkommen abwesend. Denn die meiste Zeit fliege ich ja nicht. Ich spreche höchstens ab und zu über meine Angst, in ein Flugzeug zu steigen. Mache mich ein wenig über mich selbst lustig, zeige witzige kleine Zeichnungen herum, auf denen erklärt wird, warum ein Flugzeug überhaupt fliegt. „Magic“ steht dann da unter den Flügeln einer Maschine, und ich empfinde das als sehr passend und auch viel glaubwürdiger, als dass sich tausende Tonnen Stahl in die Luft heben und dort halten könnten aufgrund von Naturgesetzen. Die Angst, die ich als einen Teil von mir angenommen habe, ist dabei aber abstrakt – sie wird nicht gefühlt, sie wird nicht körperlich erinnert, sie ist nur eine Idee. „Ich bin ein Mensch mit Flugangst“, das ist die Identität, die ich mir selbst zugeschrieben habe. Unabhängig vom Auftreten, vom tatsächlichen Erleben dieser Angst.

Aus dieser Abwesenheit heraus möchte die Angst dennoch gerne mitspielen. Dabei fährt sie eine Vermeidungsstrategie. Sie zeigt sich nicht im Körper – das ist angenehm – und schlägt, ganz vernünftig klingend, vor, dass das so bleibt. Ihr Angebot an mich lautet: Du steigst in kein Flugzeug, dann hast du auch keine Flugangst. Dann bleibe ich im Verborgenen. Und du nimmst das Rad / Schiff / Auto / bleibst halt mit deinem Hintern zuhause.

Aber das mache ich halt nicht immer. Manchmal entscheide ich mich für eine – meist kurze – Flugreise. Weil ich an einen bestimmten Ort will und alles andere viel zu lange dauert. Und weil ich mir nicht von meinen Ängsten vorschreiben lasse, was ich zu tun habe. Wo kämen wir denn da hin?

Das bedeutet aber auch, dass der Moment kommt, an dem die gebuchte Reise sich nähert. Das kann ich nicht wegleugnen, da kann ich mich nicht betrügen, das steht im Kalender und der Kopf kennt das Datum. Die Angst betritt also die Bühne des Geschehens, kleinere Vorboten sendend: Eine Extra-Systole hier, ein scharfes Einatmen dort. Reaktionen auf innere Bilder, die mich quälen. Die Angst fährt langsam und marternd ihren Terrormodus hoch, das Angstzentrum sendet immer häufiger Gefahrensignale. Die muss ich dann abfedern, mich beruhigen, aktiv entspannen. Das klappt meist brauchbar, ist in dieser Phase aber sehr anstrengend. Manchmal kann ich nicht schlafen.

Dann kommt spät, sehr spät der große Moment der Angst. Denn allen Vorboten zum Trotz sitze ich nun in einem Flugzeug und spüre das Rollfeld unter uns. Das Flugzeug beschleunigt, hebt ab, erst das vordere Fahrwerk, dann das hintere, und dann erlebe ich das volle Programm. Kurz nur, ganz kurz gibt die Angst alles, was sie hat. Oder zumindest gibt sie sich große Mühe. Doch dann ist das Flugzeug schon weit über den Häusern und gewinnt stetig an Höhe. Und spätestens, wenn aus den Autos kleine sich in einer Kette bewegende Punkte geworden sind, wird alles so surreal, alles liegt so weit unter uns, dass die Angst Mühe hat, ihre Show aufrecht zu erhalten. Zu grandios, aber gleichzeitig auch zu albern, zu quatschig ist der Blick auf die winzigen Bäume und Häuser, zu magisch die Wolken, zu beschäftigt der Verstand mit der Frage, wie das überhaupt möglich ist. Also wie genau das überhaupt möglich sein soll.

Also verschwindet sie, fast spurlos. Vielleicht versteckt sie sich, bis das Flugzeug durch ein Luftloch fliegt. Vielleicht taucht sie den gesamten Flug nicht mehr auf.

Aber kaum habe ich wieder sicheren Boden unter mir, drängt sie sich als abstrakte Idee wieder auf:

Du bist noch einmal davongekommen. Aber das nächste Mal nehmen wir wirklich die Bahn.

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