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Allgemein

Bonfire Hearts

Hier ist ein Bild des Himmels zu sehen, die Sonne versteckt sich (noch halb sichtbar) hinter einer großen Kumuluswolke

Wenn ich gerade keine Buchrezension in petto habe und dennoch unbedingt über Literatur schreiben möchte, müssen bekanntlich Popsongs herhalten. So auch dieses Mal. Aber bevor meine bibliophilen Leser_innen fluchtartig weiterklicken, lasst mich erklären:

Natürlich sind die meisten Texte von Popsongs vollkommener Schrott. Das gilt auch für einen großen Teil der Indie-, Rock-, und Jazztexte, sofern sie Texte haben. Von dem, was die Heavy Metaler als Text bezeichnen, mal ganz abgesehen. Ausnahmen bestätigen die Regel. Aber: Immer wieder schaffen es auf den ersten Blick superseichte Zeilen, tatsächlich literarische Qualität zu transportieren. Ein (fast ganz) objektives Kriterium für literarische Qualität ist die Mehrdeutigkeit, soll heißen: Texte, die besonders viel interpretatorischen Spielraum liefern und damit mehrdeutig sind, haben höhere literarische Qualität. Während die meisten Texte mit eher platten, gerne auch vollkommen ausgelutschten Bildern arbeiten („mein Herz ist gebrochen“, „Du raubst mir den Atem“ und weiteres Helene-Fischer-Material), überraschen mich andere durch frische Metaphern, merkwürdige Brüche und Vieldeutigkeit. Mein derzeitiger Favorit: James Blunt.

So, nachdem ich nun meine Literaten hoffentlich trotz Popsong habe halten können, lasst uns doch mal einen Blick auf die ersten Zeilen des Liedes Bonfire Heart werfen:

Your mouth is a revolver firing bullets in the sky

Der Mund eines mit „Du“ angesprochenen Menschen wird hier mit einer Waffe gleichgesetzt. Die Munition, die Wörter, haben kein erkennbares Ziel und werden in Richtung Himmel abgefeuert. Es bleibt unklar, ob auch der Angesprochene seinen Mund als Waffe begreift, deren Macht er absichtlich nicht wahrnehmen will, oder ob das ausschließlich die Interpretation des Sprechenden ist. Dahinter steht die Vorstellung, dass auch ohne Absicht die Wörter aus dem Mund eines geliebten Menschen zu Munition werden können, da ihnen ungleich mehr Gewicht beigemessen wird als den Worten eines anderen Menschen. Diese Lesart ist im Zusammenhang mit den nächsten Zeilen wahrscheinlich:

Your love is like a soldier, loyal `till you die

Die Liebe des Angesprochenen wird, in Verlängerung des Bildes von „Waffe“ und „Munition“ hier zum Soldaten. Das Bild der Liebe wird durch den loyalen Soldaten, der die eigentümliche Kriegsmetaphorik aus der ersten Zeile fortsetzt, konterkariert. Die Zusammenstellung von „Liebe“ und „Krieg“ ist nicht neu („In der Liebe und im Krieg ist alles erlaubt“ – ein ziemlich dämliches Sprichwort, btw.), der Vergleich aber verläuft in dieser Zeile nicht mehr entlang von Waffengewalt und militärischer Auseinandersetzung, sondern entlang des Begriffs der Loyalität. Folgende Lesart ist daher möglich:
Eine einmal gefasste Zuneigung oder eine einmal getroffene Entscheidung ist nicht der Feind, der sich gegen Dich richtet. Vielmehr ist sie der treue Soldat, der Dir folgt. Sie ist damit nichts, gegen das anzukämpfen einen tieferen Sinn hat. Sie ist dem eigenen Tun inhärent, die logische Konsequenz aus einer Entscheidung. Festzuhalten ist, dass der Sprecher sich bisher nur auf die Liebe des Angesprochenen bezieht. Es bleibt also offen, welche (konkrete?) Liebe mit der Loyalität eines Soldaten verglichen wird.

And I`ve been looking at the stars for a long long time

Nachdem zwei Zeilen lang ein Angesprochener näher beschrieben wurde, redet der Sprecher nun von sich selbst. Diese Zeile ist als Vorstellung ungeeignet und wirkt selbst in ihrer Mehrdeutigkeit irgendwie schräg. Vordergründig ist das Betrachten der Sterne ein romantisches Bild, das auch mit Schlaflosigkeit, Schwärmerei und Liebe assoziiert wird. So platt bleibt es aber nicht, wenn wir die zeitliche Dimension, die bereits in der vorhergehenden Zeile angedeutet wurde, in Betracht ziehen. Die Aussicht der „loyalen Liebe bis in den Tod“ öffnet die Zeitachse des Liedes in die Zukunft, während das „Ich schaue mir schon seit langer Zeit die Sterne an“ auf die Vergangenheit Bezug nimmt. Diese Vergangenheit doppelt sich, da es sich bei der Betrachtung der Sterne streng genommen um einen Blick in die Vergangenheit handelt, da das Licht, das unsere Netzhaut empfängt, bereits vor vielen Jahren gesendet wurde. Eine Betrachtung der Sterne ist damit auch eine Betrachtung der Vergangenheit, was bedeuten könnte, dass der Sprecher sich selbst als eher rückwärtsgerichtet empfindet und aktuell die Entscheidungen seines Lebens hinterfragt. Plausibel wird diese Lesart mit der nächsten Zeile:

I`ve been putting out fires all my life

Der Sprecher lässt uns, weiterhin im Rückblick, wissen, dass er „sein ganzes Leben“ mit dem Löschen von Bränden beschäftigt gewesen sei. In dieser Zeile können die Brände lediglich metaphorisch gemeint sein. Das Löschen eines Feuers als Akt der Schadensbegrenzung macht im Kontext des vorher Gesagten nur dann Sinn, wenn es sich hierbei um ein Bild einer gefühlsmäßigen Gefahrensituation handelt. Diese Gefahrensituationen können – nehmen wir das Betrachten der Sterne hinzu – aus einer Situation/ Entscheidung in der Vergangenheit resultieren. Gleichzeitig bildet diese Art der Intervention (das Niedertreten/ Löschen von Bränden) eine Art Opposition zu dem „Soldaten“ in Zeile 2. Selbstverständlich soll bereits hier das übliche Bild vom Feuer der Liebe wachgerufen werden, was auch die folgende Zeile zeigt:

Everybody wants a flame, but they don´t want to get burned

Hier wendet sich die Erzählerfigur von der persönlichen Perspektive in eine allgemeine Haltung. Obwohl er sinngemäß das Löschen von Bränden als permanente Lebensaufgabe sah – ausgelöst durch einen noch unbekannten emotionalen Konflikt – äußert er nun, jede/r wolle in seinem Leben „eine Flamme“ haben. Die deutsche Übersetzung darf hier nicht wörtlich genommen werden. Vielmehr ist die Flamme ein häufig verwendetes Symbol der Leidenschaft, Hingabe oder Verliebtheit, auch „Brennen für etwas/ jemanden“. Dabei ist die paradoxe Haltung des mit „Everybody“ (alle) angesprochenen Kollektivs diejenige, dieses Brennen zwar spüren zu wollen, sich dabei aber nicht verbrennen zu lassen. Hier wird ein Drahtseilakt beschrieben, der zumindest physikalisch nicht zu bewältigen ist. Somit wird ein Spiel mit Distanz und Nähe mit der Flammensymbolik angedeutet. Damit wird die gewünschte Flamme zu einem kontrollierbaren Flämmchen – alles andere scheint gegen die Konventionen – was durch das Austreten der Brände durch den Sprechenden noch einmal verdeutlicht wird.

And today is our turn

Nach Verweisen auf Zukunft und Vergangenheit befinden wir uns nun in der Gegenwart. „Heute“ führt dabei die Zeitebenen zusammen, während das „wir“ eine Verschmelzung der bisher getrennt gedachten handelnden Personen ist und den Sprecher mit einbezieht. In dieser Zeile ist darüber hinaus eine Rückführung aus dem kollektiven Dilemma der vorhergehenden Zeile in eine konkrete Situation zwischen zwei Menschen zu sehen. Absichtlich wird offen gelassen, inwiefern diese beiden Menschen „an der Reihe“ sind. Der Satz könnte sich auf weiter oben Gesagtes beziehen, also auf die offenbar gemeinsame Vergangenheit der mit „our“ angesprochenen Personen. In dieser Lesart würde „all my life und „long, long time“ mit „today“ als einem vorläufigen Endpunkt des inneren Kampfes (gegen die Flammen?) interpretiert werden können.

Refrain:
Days like these lead to nights like this lead to loves like ours
You light the spark in my bonfire heart

Die vorhergehenden Ereignisse und Entscheidungen werden im Refrain als eine unweigerlich eintretende Kette dargestellt. Was auch immer „an der Reihe“ bedeuten mag, der Endpunkt „today“ ist als zwangsläufige Konsequenz zu sehen. Die Liebe des Angesprochenen wird konkretisiert, es handelt sich um eine gemeinsame Empfindung.

Die zweite Zeile, „Du entzündest den Funken im Freudenfeuer meines Herzens“ entbehrt nicht eines gewissen Kitsches, was sie von den mehrdeutigen Zeilen des Beginns abhebt. Gleichzeitig entspricht der Satz dem Genre, in dem wir uns bewegen. Zu harsche Kritik wäre daher unangebracht. Das mehrdeutige „bonfire“ kann als Lagerfeuer, Freudenfeuer, aber auch Fegefeuer (everlasting bonfire/ bonfire of vanities) übersetzt werden. Das Unendlichkeitsthema wurde bereits durch das Betrachten der Sterne aufgegriffen, daher ist die Lesart als „Fegefeuer“, auch in der Unkontrolliertheit des selbigen, durchaus impliziert. Da sowohl „you“, als auch „light“ und „heart“ im Text positiv belegt sind, ist die treffendere Übersetzung allerdings das Freudenfeuer. Dass dieses Feuer in direktem Bezug mit den vorher zu löschenden Bränden steht, kann vermutet werden. Die Entwicklung bis hin zu diesem Punkt wäre damit die Aufgabe des ohnehin zum Scheitern verurteilten Löschens der Brände und das Lodern-Lassen des Feuers.

Kleiner sidefact: Als „Bonfire Night“ wird die Nacht, in der Guy Fawkes das englische Parlament in die Luft sprengen wollte, bezeichnet. Frauen, die am 5.11. geboren wurden, werden in Referenz auf Guy Fawkes auch „bonfire girls“ genannt. Dieser Anlehnung von „bonfire“ wohnt also auch ein revolutionärer Gedanke inne, der den als negativ empfundenen Kontrollverlust über das Feuer umdreht und sich an einem eventuellen Niedergang von Strukturen und Konventionen freut. Aber eine solche Interpretation hätte mir vermutlich dann doch niemand mehr durchgehen lassen 😀

Den Rest überlasse ich den geneigten Hörer_innen und verlinke Euch mein derzeitiges Lieblingslied im Original. Ich hoffe, Euch hat diese Interpretation Spaß gemacht. Welchem eher seichten Popsong könnt Ihr etwas abgewinnen? Schreibt mir nen Kommentar!

(Mit spanischen Lyrics, hehe :-))

 

  1. Worte können Waffen sein ….

  2. Hi,

    Du kannst hier einen kleinen Einblick über Pearl Jam Songs, nebst Texte sehen:
    http://www.rollingstone.de/news/meldungen/article482966/die-20-besten-songs-von-pearl-jam.html
    (in der Slideshow)

    Wenn dieser James Blunt nur nicht so eine Weichspüler-Stimme hätte und mir nicht sofort das nervige “You´re beautiful” oder eher gesungen “Yoooou r beautifuuhuul”, könnte ich sogar den Text würdigen. So finde ich Deinen Text zuviel der Ehre…

    Grüße
    Dietmar

    • Kommentar des Beitrags-Autors

      Och, Dietmar … 😀 Ihr seid echt nicht nett, von Dir lese ich was von Weichspüler-Stimme und zuviel der Würdigung, auf twitter heißt es, ich hätte eindrucksvoll bewiesen, dass Pop-Texte eben DOCH flach und eindeutig seien … ;D Das nächste Mal nehme ich einen Eminem-Song auseinander und interpretiere ihn nach den “Gay Studies” 😀 :D. So, und jetzt muss ich mich unbedingt durch Deinen Rolling Stone-Link klicken, vielen Dank dafür!

  3. Frau Goodword

    Hast keine Like-Funktion aktiv – dann eben in Worten: I Like! 🙂

  4. Mich würde interessieren, wie verbreitet das Wissen um die „bonfire girls“ ist? Interessante politische Huldigung. Weißt etwas darüber?

    • Kommentar des Beitrags-Autors

      Das ist eine sehr gute Frage! Nein, keine Ahnung, aber ich kann diejenigen fragen, die mich zuerst so genannt haben ;-).
      Dann gibts ein Update. Übrigens war die erste Idee, mal die Bonfire-Metapher alleine zu untersuchen, weil sie auch bei Shakespeare und vielen anderen vorkommt, und meist mit der Doppeldeutigkeit gespielt wird, sprich: Man manchmal einfach nicht weiß, ob das Fege- oder das Freudenfeuer gemeint ist. Die revolutionäre Guy-Fawkes-Referenz kommt später als drittes hinzu. Also, genug ins Blaue rumgeschwallt, ich werde mich mal kundig machen 🙂

        • Kommentar des Beitrags-Autors

          Also, ich finde nichts, was nun irgendwie belegen könnte, dass es sich dabei um mehr als eine Art “Mundpropaganda” handelt. Leider, bin selbst etwas enttäuscht. So viel dann eben aus meiner Perspektive: Da ich selbst am 5.11. geboren wurde (und immer ein wenig gegen den Strom schwamm), hörte ich das zum Ende meiner Schulzeit zum ersten Mal. Habe den Englischlehrer da im Verdacht, weiß es aber nicht mehr. Dann wurde es mir vereinzelt im Studium gesagt. Seitdem ich auf twitter aktiv bin, gratulieren mir liebe Menschen mit diesem Begriff zum Geburtstag – sicher so an die 10, 12, denen der Begriff (ebenfalls nur über Mundpropaganda) geläufig ist. Das beantwortet jetzt die Frage nicht so wirklich, und ich werde oben sicher auch noch editieren … vielleicht gibt es ja irgendwann mal einen wikipedia-Artikel dazu? 😀 Ich frage weiter.

          • Schön, irgendwo muss ja eine Initiative ja herkommen und wenn du sie begründest, why not? Sag bescheid, wenn deine Wikipedia-Artikel fertig ist 😉

            Viele Grüße

  5. Anita

    Du fragtest, welchem “seichten” Popsong man was abgewinnen kann. Seit dem schwirren unendlich viele Lieder durch meinen Kopf.

    Und was ist “seicht”, in welchem Moment??

    Cindiy Lauper “Girls just wanna have fun”
    Tracy chapman ” Fast car”
    Avicii “Wake me up” (wo ich immer noch nicht sicher bin, ob das nicht ein Cover ist)

    Derzeit mein absoluter Liebling, BAP “Das Märchen vom gezogenen Stecker” (alles andere als seicht, noch nie gewesen).

    Einen Liedtext zu analysieren mag ich übrigens sehr gerne. Danke dafür.

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