Heute ist der Internationale Frauentag, und ich bin eine „Angry Feminist“. Ich schwinge ein Transparent und halte vor einer überschaubaren, aber sehr engagierten Menge eine mitreißende Rede über die Bedeutung von Feminismus seit dem Erstreiten des Wahlrechts für Frauen. Ich erinnere meine Töchter an die Erfolge und Opfer unserer Geschlechtsgenossinnen früher und heute, und ich spreche mit meinen männlichen Vorgesetzten darüber, wie ich mir den wertschätzenden, gleichberechtigten Umgang mit Frauen vorstelle.
In Gedanken.
Denn dieser Frauenkampftag – ob online oder unter Corona-Bedingungen – wird ohne mich auskommen, aus einem einfachen Grund: Ich kann nicht mehr kämpfen. Der Pandemie-Alltag hat mich vollkommen absorbiert. Zwischen Homeschooling und Home-Office, zwischen dem Vorantreiben von Projekten, der vierten Geschirrspüler-Ladung des Tages, zwischen dem achtzehnten Kaffee und dem ersten (aber nicht letzten) Wein des Abends, dem Trösten und Organisieren und Müll rausbringen und Telefonieren ist mein Kampfgeist für Geschlechtergerechtigkeit auf der Strecke geblieben. Platzte ein Mann früher in ein angeregtes Gespräch und unterbrach einfach, habe ich ihn auf sein Verhalten hingewiesen und dafür gesorgt, dass die Frauen in der Runde ausreden können. Heute sehe ich mir dabei zu, wie ich in Meetings lächle, wenn mich ein Mann unterbricht. Ein schmales, resigniertes Lächeln, das sich auch einstellt, wenn ein Mann laut äußert, das Geschlecht sei egal, schließlich zähle die Qualifikation. Oder wenn ein Mann mir vermittelt, er schmeiße zuhause auch mal eine Waschmaschine an, „um die Perle zu entlasten“. Da lächle ich und nicke so vor mich hin, fühle mich zahnlos und frage mich – nur en passant, ganz flüchtig – wo denn die ganze schöne Wut geblieben sein könnte, die jetzt angebracht wäre.
Möchtet Ihr wissen, was die Pandemie mit den Frauen* macht? Immerhin ein Thema, das zur Zeit häufig medial aufgegriffen wird. Da gibt es Studien und Befragungen und Ergebnisse, wie viel Prozent der Care-Arbeit von Frauen geleistet wird. Wie häufig Frauen während der Pandemie ihre Arbeitszeit reduzierten, und mit welchen Konsequenzen. Dazu Schlussfolgerungen, dass wir dabei sind, in längst überwunden geglaubte Rollenmuster zurückzufallen. Und offene Fragen wie zum Beispiel: Bleibt die Geschlechtergerechtigkeit während Corona auf der Strecke?
Interviews, Berichte, Panel-Diskussionen: Sie alle behaupten, sich darum zu kümmern, was die Pandemie mit den Frauen* macht. Dabei geht es in den meisten Beiträgen darum, was die Frauen IN der Pandemie machen. Ein wichtiger, aber selten bemerkter Unterschied. Ich will das verdeutlichen:
Was ich in der Pandemie mache? Arbeiten, Kochen, Vorlesen, Saugen, Kinder betreuen, Studierende begleiten, Workshops halten, Telefonieren, Yoga mit Mady.
Was die Pandemie mit mir macht? Sie macht mich leise.
Keine Transparente, kein Protest. Kein Widerspruch in Meetings, kein Behaupten im Privaten. Die Restenergie nach Monaten der Überlastung geht in ein bisschen Sport, damit ich eine Chance habe, nach dem Lockdown noch in die Jeans zurückzukehren. Wir hier auf unserer privilegierten kleinen Insel atmen, gehen spazieren und pflanzen Tomaten. Der Arbeitstag beginnt um 7:00 Uhr und endet mit dem Putzen der Küche um 23:00 Uhr. Manchmal frage ich mich, wie mein Spiegelbild wohl aussehen wird, wenn die gepflanzten Tomaten reif sind. Das ist es im Wesentlichen.
Die Pandemie macht mich leise, und ich bin nicht die Einzige. Aus bewusstem Schweigen, weil ich mich nicht in dem ganzen Chaos auch noch beschweren wollte, wurde eine Angewohnheit. Aus dem Bedürfnis, das Problem zu lösen, wurde Aktivität und, ja, auch etwas blinder Aktionismus. Überall um mich herum blickten die Frauen nach vorne und erledigten die Arbeit. Und wurden, bis auf wenige Stimmen, dabei immer stiller. Heute lese ich von den Frauen, die ihren Partnern während der Pandemie den Rücken freihielten. Ich sehe Social Media-Posts von aufgegebener Selbständigkeit, von prekären finanziellen Situationen und von der Unmöglichkeit, den Beruf mit der Kinderbetreuung in Einklang zu bringen. Von der Angst, die Kinder in die Notbetreuung bringen zu müssen, weil der eigene Beruf plötzlich als systemrelevant gilt, ohne auch so vergütet zu werden. Ich lese von männlichen Vorgesetzten, die den MitarbeiterINNEN entgegnen, sie könnten nun ruhig wieder an Meetings teilnehmen, die Schulen seien ja wieder geöffnet**. Und wie reagiere ich? Mit Sprachlosigkeit, mit Erschöpfung, mit Schweigen.
Längst wird nicht mehr mit den Frauen gesprochen, sondern vor allem über sie. Während die Partnerin zuhause das Baby ins Bett bringt, oder die Ehefrau abends zusätzliche, schlecht bezahlte Aufträge annimmt, sitzen Männer in Talkshows und erörtern mit der Quotenfrau der Runde das Thema mangelnde Vereinbarkeit von Beruf und Familie in der Pandemie. Dabei ist nach kürzester Zeit klar, dass ausschließlich die Quotenfrau an diesem Thema ernsthaft interessiert ist, die Männer reden nach wenigen Minuten über … sich. Und wie viele Maschinen sie abends noch anschmeißen, um ihre Perlen … ach, das hatten wir ja schon.
Ihr wollt wirklich und ernsthaft wissen, was die Pandemie mit den Frauen macht? Ich habe einen revolutionären Vorschlag für Euch:
Fragt sie mal.
Fragt die Euch nahestehenden Frauen, wie es ihnen gerade mit allem wirklich geht. Was Ihr tun könnt, um sie zu entlasten, nicht einmal, nicht zweimal: dauerhaft. Wie sie sich eine Partnerschaft vorstellen, jetzt, unter den gegebenen, suboptimalen Bedingungen.
Wir sind müde, und wir brauchen Euch jetzt. Als Verbündete und Partner. Macht diesen Weltfrauentag doch mal etwas ganz Verrücktes: Geht – physisch oder virtuell – für Frauenrechte und für Geschlechtergerechtigkeit auf die Straße. Macht den Mund auf, aber nicht, um „What about the menz?“ zu rufen, sondern, um den leise gewordenen Stimmen ein bisschen mehr Gewicht zu verleihen. Setzt Euch für ein vernünftiges Gehalt für Eure Kolleginnen ein, und sagt etwas, wenn Ihr merkt, wie still weibliche Teammitglieder seit Monaten sind. In Baden-Württemberg ist in wenigen Tagen Wahl – wenn Geschlechtergerechtigkeit vor allem Frauen interessiert: Wählt doch mal eine!
Ihr seid dran, geschätzte Allies! Das „I am a feminist“-T-Shirt überzuziehen und sich aware zu fühlen reicht nicht mehr. Wir brauchen keine Lippenbekenntnisse, wir brauchen Unterstützung.
*Die meisten Artikel, die ich dazu las, verengten die Sicht auf Mütter. Das ist natürlich auch die Perspektive, aus der ich diesen Blogpost schreibe. Dennoch weiß ich aus meinem Netzwerk, dass die genannten Probleme nicht nur Mütter betreffen, sondern eine Vielzahl von Menschen, die sich dem weiblichen Geschlecht zurechnen, unabhängig von eigenen Kindern.
** Wechselunterricht in der Grundschule, bei uns aktuell 2 Std./ Tag jede zweite Woche reicht organisatorisch für Zahnarzttermine und Einkäufe, nicht für Präsenzarbeit über 25% Arbeitszeit.
Die im letzten Absatz verlinkte Petition ist ein Beispiel, wie niedrigschwellige Unterstützung aussehen kann.
ClaudiaBerlin
Eine gute Rede! Danke, dass du trotz allem dazu noch die Kraft gefunden hast! Schließe mich deiner Forderung an die Männer an, die einfach mehr tun müssen, um die Mütter zu entlasten.
Ja, bei allem was du aufzählst und allen Belastungen, über die anderswo berichtet wird: Es sind die Mütter, die kaum mehr durchsehen vor lauter Pflichten, nicht “Frauen” im Allgemeinen. 19 Millionen Frauen im Alter zwischen 15 und 75 Jahren hatten 2018 mindesten ein leibliches Kind und 10 Millionen waren (noch) kinderlos. Engültig kinderlos bleiben derzeit 21% der Frauen.
Das spricht in keiner Weise gegen die Forderungen nach mehr Unterstützung. Dennoch fühle ich mich motiviert, zu sagen: Nicht alle Frauen… Mein Leben vor Corona: Arbeit im Homebüro. Bloggen, Garten, kochen, Yoga hat sich nicht verändert, außer dass ein Urlaub ausgefallen ist.
Bei “Frauen” fühle ich mich immer mitgemeint, wenn die Überlastung beklagt wird. Zu unrecht und damit bin ich kein Einzelfall, sondern eine von 10 Millionen Frauen.
Zum #Weltfrauentag hab allerdings ich auch etwas geschrieben:
https://www.claudia-klinger.de/digidiary/2021/03/08/zum-weltfrauentag-meine-prioritaeten/
MariaDonnerschlag
Eine wichtige Perspektive! Und danke, dass ich mich in dieser Beschreibung wiederfinden darf und sichtbarer werde! Während der Pandemie habe ich mein drittes Kind geboren und unzählige Stunden einsame und überfordernde Carearbeit geleistet und es geht mir wie vielen Frauen* wenn ich sage: ich bin
immer noch erschöpft, ich sortiere immer noch das Chaos und versuche den Karriereknick zu kaschieren, der entstanden ist und weiß dabei: ich bin als weiße, nicht-alleinerziehende cis- Frau mit höherem Bildungsabschluss noch eine der Priviligierten.
Es gibt noch so viel zu tun: im Schnitt jeden dritten Tag fällt in Deutschland eine Frau * einem Femizid zum Opfer und das ist nur die Spitze des Eisbergs der Ungerechtigkeit des Patriarchats.
Es ist wichtig, dass wir lauter werden und uns gegenseitig helfen, nicht in der Unsichtbarkeit zu verschwinden!
MariaDonnerschlag
mit fällt gerade auf: Hach, ich hätte bei der Kundgebung zum Weltfrauentag auf die Bühne klettern sollen, mir das Mikrofon schnappen und diese Sätze mit ruhiger entschlossener Stimme vortragen sollen…. leider haben sich meine Söhne dabei vor lauter Begeisterung für die Polizisten auf den Motorrädern fast auf die vielbefahrene Hauptstraße gestürzt… schade