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Der Stoßseufzer, Frauen und Frauenbilder, In eigener Sache

Zeit für eine Intimrasur. Aber feministisch!

Ein Bild von zwei Männern auf der re:publica, wie sie ein Plakat bemalen mit dem Spruch "Girls just want to have fundamental rights". Nicht im Bild: Wie ich sie überschwänglich dafür lobe.

Im Grunde kann ich nur jeder Frau raten, sich im Schatten der langsam nahenden 40 von ihrem Lebenspartner zu trennen. Die Tipps, die frau für ihre künftige Lebens- und Alltagsgestaltung erhält, sind Gold wert. Und sie kommen gleich im Dutzend. Von allen Seiten. Es ist wie ein Tsunami aus hilfreichen Kommentaren und guten Ratschlägen. Und wer mag keine Tsunamis?

Ja, das ist eine rhetorische Frage, und ja, in diesem leicht bitteren Stil wird der Blogpost weitergehen. Wenn Ihr also heute ausgesprochen gute Laune habt, dann lest lieber woanders weiter. Oder schaut Euch Videos von Ottern an. Für alle anderen starten wir jetzt die Tour der Lebensratschläge und hilfreich gemeinten Kommentare in einer Trennungsphase.

„Für Dein Alter siehst Du noch klasse aus. Du findest bestimmt bald wieder einen neuen Mann.“

Dieser in mehrfacher Hinsicht problematische Satz kleidet sich in ein Kompliment. Ebenfalls häufig gehört werden Abwandlungen wie „Für DREI Kinder siehst Du toll aus!“ (eine Betonung des Wortes „drei“ ist obligatorisch). Allerdings breche ich bei diesem Kommentar nicht in Freudentränen aus. Zum Ersten, weil ein neuer Lebenspartner zur Zeit nicht auf der Agenda steht. Kann passieren, klar. Eine gerade erfolgte Trennung nach fast 20 gemeinsamen Jahren aber ist ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt, um sich in eine neue Beziehung zu stürzen.

Zum Zweiten, weil es maximal traurig ist, wenn ein erfülltes Leben vom „Finden“ eines männlichen Partners abhängt. Als wäre diese Welt weniger bunt, weniger wundersam, weniger groß, wenn man es versäumt, sie mit einem Menschen zu bestreiten, dessen Genitalien anatomisch in die eigenen passen.

Und wer sagt denn eigentlich, dass ich von Männern nicht die Schnauze voll habe und es lieber mal mit einer tollen Frau versuche?  

Zum Dritten, und damit zum eigentlich offensichtlichsten: Hallo?! Lookism! Es hängt also von meinem angeblich noch brauchbaren Aussehen ab, ob sich jemand für mich interessiert? Wow. So 1950. Oder wie die tolle Katja Grach, die gerade ihr Buch MILF-Mädchenrechnung veröffentlicht hat, in einem Interview sagte: „Das Einzige, das ständig überall verhandelt wird, ist, wie Frauen für Männer sexuell attraktiv sein können, was sie drauf haben sollten, um ihren sexuellen Marktwert zu steigern.“ Das beschreibt das Gefühl, das ich bei diesem Kommentar habe, sehr gut.

„Der [insert random name] hat bereits nach Dir gefragt. Das wäre ja eine gute Partie, Du hättest ausgesorgt.“

Wir kommen in den 60ern an und machen damit Fortschritte! Hier geht es den besorgten Angehörigen und Freunden um den Erhalt des Status und der Sicherheit. In Anbetracht meiner Erziehungszeiten und meiner nicht vorhandenen Rentenansprüche scheint das ein guter Ratschlag zu sein. Trotzdem ärgern mich Sätze wie dieser maßlos. Eine Familiengründung verursacht eine wirtschaftliche Abhängigkeit, die in Deutschland mit dem Versorgungsvertrag namens Ehe rechtlich geregelt und gesichert wird. Hebt mann diesen Versorgungsvertrag durch eine Trennung (schrittweise) auf, hat frau einiges zu tun: Wirtschaftliche Unabhängigkeit sicherstellen, zum Beispiel. Sich mit Wertpapierdepots und Anlagemöglichkeiten befassen. Kassensturz machen. Rechnen. Vereinbarungen aufsetzen und ggf. für ihre Rechte und die ihrer Kinder kämpfen. Und da erscheint es der Außenwelt als eine vernünftige Maßnahme, sich in die nächste Abhängigkeit zu begeben? Das ist antifeministisch as hell. Außerdem ist es in sich unlogisch: Eine klassische, weitgehend monogam geführte Ehe scheitert. Und dann glaubt die Gesellschaft, es gibt nichts Besseres, als das gescheiterte Modell gleich wieder zu versuchen? Statt trial and error wäre das dann wohl trial and just screw the results. Schon aus einer wissenschaftlichen Perspektive handelt es sich also um reinen Blödsinn.

„Mach Dich mal wieder zurecht, geh aus, kauf Dir schöne Unterwäsche.“

Die Absicht hinter diesem Ratschlag ist klar: Es geht wie in den anderen Ratschlägen um Männerfang, vorzugsweise betuchten solchen. Und da der perfekte neue Lebensabschnittsgefährte eine ziemlich oberflächliche Person zu sein scheint, muss ich mich aufstylen und an die Spitzenunterwäsche denken, sobald ich das Haus verlasse.

Könnte mir ja jemand versuchsweise die Klamotten herunterreißen, und wir kennen alle die Männer. Dann sehen sie die ollen Schlüpper und sagen sich, nein, danke, DIE lieber nicht. Alles schon erlebt, oder?

Ich kann mich nicht entscheiden, was mich an diesem Ratschlag am meisten stört. Vermutlich ist es das Männerbild. Daher fragte ich den Gatten, ob er möglicherweise KEINE andere Frau gesucht hätte, wenn ich häufiger schöne Unterwäsche getragen hätte. … Sagen wir einfach, wenn ich irgendwann lerne, dass man niemals eine Frage stellt, auf die man die Antwort nicht hören möchte, darf ich vielleicht in Zukunft mein positives Männerbild behalten. 

Abwandlungen des Ratschlags sind übrigens „Du solltest jetzt nach vorne schauen“ oder auch „Gönn Dir doch mal wieder etwas! Ein neues Kleid, einen neuen Typ …“ An der letzten Variante mag ich allerdings den Genussaspekt. Gönnt Euch, Ihr frisch getrennten Frauen! Pizza, Bier, bedeutungslosen Sex … oder wie die Band Von wegen Lisbeth singt: „Schlaf auf jedem Klo mit jedem Typen, den Du willst!“ DAS ist doch mal ein Ratschlag, mit dem etwas anzufangen ist.

„Es sind nicht mehr die 90er. Heute machen die Frauen dieses „Brazilian Waxing“ für ihre Intimzone.“

Danke für die Aufklärung. Das Frauenbild stammt also aus dem letzten Jahrtausend, die Schambehaarung muss aber topmodisch sein. 

Bisher dachte ich, es sei ein klares PAL – Problem anderer Leute –, wenn Frauen meinen, sie müssten ab der Körpermitte aussehen wie 11. Doch es scheint eine weit verbreitete Ansicht zu sein, dass frau sich nach einer Trennung auf den bestmöglichen Stand bringt. Friseur, Kosmetik, Nagelstudio, Sugaring, Fitness. Als hätte man mit den emotionalen Verletzungen nicht genug zu tun. All diese Sanierungsmaßnahmen gehen ins Geld, aber die Investition muss sein, denn: siehe Ratschlag 1-3. Und in meinem Kopf schreit Carolin Kebekus von einer Bühne herunter: „Wir müssen unsere eigene Fickbarkeit erhalten!!!“ 

Die wunderbare Corinne, geschätzte Bloggerin und Autorin des Buches Am liebsten sind mir die Problemzonen, die ich noch gar nicht kenne, erzählt im eigenstimmig-Podcast von der Problematik hinter einem solchen Bild. Denn neben dem offenkundig Schwierigem – der damit verbundenen Vorstellung von Männern und Frauen – bindet die Beschäftigung mit dem Aussehen alle möglichen Ressourcen: Zeit, Geld, Energie. Während die Dame beim Sugaring liegt und sich um ihren zu weichen Bauch Gedanken macht, leistet sie nichts anderes. Sie gründet keine Firma, schreibt keinen Roman, spielt nicht mit ihren Kindern. Sie ist beschäftigt. Wieso reproduzieren wir diesen Mist so endlos, gerade wenn sich jemand trennt? Warum schauen wir nicht, wofür die Betroffenen ihre Ressourcen derzeit am nötigsten brauchen – und unterstützen sie dahingehend?

Warum nerven wir sie mit ihrer Schambehaarung und erzählen ihnen, sie müssten einfach hübschere Wäsche haben? Ich habe darauf bisher keine Antwort erhalten. Abgesehen von einem beleidigten „War ja nur gut gemeint!“

Fassen wir alle gut gemeinten Ratschläge zusammen, ergibt sich ein desolates Bild: Die Frau an sich ist nach 19-jähriger Partnerschaft und dreier schmerzhafter Geburten genau so viel wert wie ihr Sinn für Spitzenunterwäsche und Intimrasuren. Denn genau diesen braucht sie, um sich schnellstmöglich neu zu versorgen. Das scheint gesellschaftlich das erklärte Ziel nach einer Trennung. Zum großen Glück für mich ist der Zeitpunkt gerade günstig: Auch andere Ehen gehen in die Brüche, und die „zweite Runde“ steht kurz vor ihrem offiziellen Einläuten. Vielleicht ist da ja jemand dabei, der meinen Wert als Mensch durch eine Verpartnerung und damit einhergehende wirtschaftliche Versorgung wieder steigert. Wäre mir zu wünschen, schließlich sehe ich für mein Alter noch klasse aus … (muss ich hier einen Ironiemarker setzen?)

Ein vorläufiges Fazit. Aber feministisch!

Für mich allerdings steht weiterhin fest: Der Wert einer Beziehung besteht in einem tiefen Vertrauen, das man nach vielen Jahren in einen (oder auch mehrere) Partner hat. Der Kern einer Partnerschaft ist das Zuhause, das der Körper und die Seele des anderen ist. Die gemeinsamen Erlebnisse, die Gespräche, der Respekt, die Offenheit. Das Einräumen von Freiheiten, aber auch das gelegentliche und freiwillige Aufgeben der eigenen Unabhängigkeit für einen anderen Menschen. Die Unterstützung und Wertschätzung. Das ehrliche und ungeschminkte Begegnen. Das gemeinsame Gestalten des Lebens nach den Bedürfnissen beider/aller Partner. Getrimmte Schambehaarung und Spitzenunterwäsche sind ein schönes Feuerwerk. Eine Show, die eher früher als später vorbei ist.

Wenn sich der Wert einer Beziehung an Äußerlichkeiten bemisst, ja, schlimmer noch: Wenn der Weg in eine Beziehung nur über Äußerlichkeiten geebnet wird, dann möchte ich in meinem zukünftigen Lebensabschnitt lieber auf Partnerschaften verzichten. Ich glaube aber, dass da draußen genügend interessante, liebevolle und offene Menschen sind, die kein Problem mit einer 90er-Jahre-Intimrasur haben. Oder mit hautfreundlicher Unterwäsche. Die es halten wie K.I.Z. in ihrem Lied Hurra, die Welt geht unter:

„Wir lieben wen wir wollen, sehen aus wie wir wollen, stehen auf, wann wir wollen, haben Sex wie wir wollen. Und nicht wie die Kirche oder Pornos es uns erzählen.“ Ja, das wäre was.

Versöhnliches Schlusswort

„Und jetzt wartet nicht auf einen versöhnlichen Schluss“, singt Sarah Lesch in ihrem beeindruckenden Lied Testament. Ich bin aber grundsätzlich harmoniebedürftig und suche immer die Versöhnung. Daher jetzt meine Lieblingssätze, die Freunde und Angehörige in der letzten Zeit geäußert haben. Vielleicht ist ja etwas dabei, das Ihr mal als Rat weitergeben wollt:

„Du wirst Deinen Weg finden.“

„Du machst das alles gerade ausgezeichnet.“

„Du verdienst es, glücklich zu sein und Du wirst es auch wieder werden.“

„Ich bin da, ich höre und ich begleite Dich.“

„Es ist super, wie Du in allem bei Dir bleibst.“

„Wenn Du irgend etwas brauchst, sag einfach Bescheid.“

 

Danke dafür. Wer braucht da noch Brazilian Waxing?

  1. A

    Liebe Juna,

    ich schreib nur mal kurz nieder was mir gerade im Kopf rumspukte. Erstmal wünsche ich dir alles gute auf deinem weiteren Weg. Du wirst ihn finden, davon gehe ich stark aus, denn du bist eine tolle, mutige Frau. Den Schritt einer Trennung mit 3 Kindern gehen zu können ist sicherlich keine einfache Sache gewesen. Ich hoffe dass sich einfach alles fängt und zum Guten wendet, wie auch immer geartet. Sei es dass die Betreuungsaufteilung reibungslos klappt, dass dein Job flexibel genug ist, dass immer dann eine Tür aufgeht wo sich eine andere schließt. Und das sage ich nicht, weil die Antwortmöglichkeiten vorgegeben sind.

    Jetzt zu meinen Gedanken: ich hab lange gedacht ich finde niemanden mehr. Ich hab dann ähnliche Sprüche gehört (Minus der 3 Kinder), aber eigentlich habe ich begonnen, mich mit mir selbst zu arrangieren und habe viele Dinge mit mir selbst auszumachen gelernt. Das ist halt auch eine Fähigkeit. Ich hatte die Chance meine Persönlichkeit voll zu entwickeln. Dann habe ich doch jemanden getroffen. Und das allererste Lied, dass er mir vorspielte, war “Hurra, die Welt geht unter”. Und ja, wir mögen Intimrasur, ich persönlich mag schöne Unterwäsche, wir mögen ganz passabel aussehen, zumindest “fickbar”. Aber wenn man sich nach dem späten Sonntags-Frühstück, ungeduscht in der Schlabberbüchse und mit einem alten T-Shirt auf dem noch Ei-Flecken sind, sich nicht genauso attraktiv und fickbar findet wie im haarlosen Lingerie-Look, dann liebt man halt nicht die Person, sondern den Glamour.

    Liebe Grüße
    A.

  2. Anett

    Sehr schöner Beitrag. Musste wirklich viel lachen, weil mir Vieles so bekannt vorkam.

  3. Alu

    Ich liebe dich und ich liebe meine Kneipe. Leider bin ich schon verheiratet, aber ich kann ja Mal fragen ob es da Optionen gibt. Voller Begeisterung deine Alu

  4. Von Juna zu Juna, danke für diesen wunderbaren Text!

  5. Julia.

    Sehr gelacht, obwohl mir auch nach Heulen ist. Ich habe gedacht, meine Gefühlsleben wäre einzigartig….

  6. Toller Artikel! Er gefällt mir beginnend bei den falschen Komplimenten bis hin zur Intimrasur.
    Man muss sich wirklich fragen, in welchem Zeitalter wir leben.
    LG Sabienes

  7. Liebe Juna,

    nach 10 Jahren frisch getrennt aus so vielen Gründen meinte mein Vater: “jetzt stoß dir mal die Hörner ab und dann gehst du zurück zu Deiner Frau”. Als hätte ich vor meiner Frau keine Beziehungen gehabt.
    Es ist auch nicht so, as hätte ich sie nicht mehr begehrt. Nee, an der Unterwäsche lags wahrlich nicht, mir war sie ja in den Situationen, wo es auf sowas ankommen könnte, ohne solche lieber. Und Intimrasuren waren damals noch nicht so gefragt.

    Den Weg, den du jetzt gehst, gehen musst, ist der Deine, nicht der von jemandem anderen. Es gibt tausende, die wissen, was gut ist – aber du beschreibst das schon richtig – du musst für dich selbst herausfinden, was du mit Deiner Erfahrung machst. Verlassen zu werden, wenn ich es richtig verstehe, ist sicherlich keine der erfreulichsten Erfahrungen im Leben. Dass du nicht nur verletzt bist – sondern auch getroffen, das ist diesem Text zu entnehmen. Ich hab ihn erst heute entdeckt.

    Aber so wie ich dich “kenne” – oh, ich weiß, wie könnte ich dich kennen – bin ich sicher, dass du dich wieder findest. Und wieder so leuchtend strahlst – dass du entweder wieder jemanden findest oder eben nicht – und es dann deine Wahl ist. Denn die hast Du und so soll es auch sein.
    Sei verletzt, sei traurig, aber sei glücklich. Auch das ist Deine Wahl. Aber: das hast Du ganz sicher verdient. Und wenn du was brauchst….

  8. Ich stimme dir voll und ganz zu. Oftmals überlegen Menschen nicht so recht, was sie da genau von sich geben. Eine Frechheit. In welchem Jahrhundert leben wir denn? Wir sind schon so weit gekommen, jetzt sollte es nicht daran scheitern, dass wir andere diskreditieren in ihrem persönlichen Wert. Egal was andere eben über dies und jenes denken. Es ist dein Glück, dein Leben und dein Weg. Und wahre Freunde unterstützen dich hierbei, genau wie du sie. Ein toller Artikel. Vielen Dank dafür! Mach bitte genau so weiter!

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