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Literatur, Literatur und Gesellschaft

“Frauen, die schreiben, leben gefährlich”

Ein Buch zu Weihnachten! Von meinen Kindern!
Zugegeben, ich habe die Kinder selbst angestiftet, es mir zu kaufen. Aber hey! Das Ergebnis zählt!
Seit heute lese ich „Frauen, die schreiben, leben gefährlich“. Ein Buch von Stefan Bollmann voll mit Portraits geistreicher, schreibender Frauen aus vielen Jahrhunderten Literaturgeschichte. Gar nicht dröge, sondern liebevoll und immer mit einem Bezug zur Jetzt-Zeit gestaltet.

Sehr beeindruckend sind aber nicht nur die Portraits, die ich bis jetzt gelesen habe, sondern auch das Vorwort von Elke Heidenreich. Diese ist mir, obwohl sie selbst großartige Bücher schreibt und ein eigenes Rezensionsformat im TV hatte, bisher gar nicht so wahnsinnig aufgefallen. Tja. Und dann dieses Vorwort:

„Wir geistigen Frauen enden als Verliererinnen in Liebesgeschäften“, schreibt die argentinische Lyrikerin Alfonsina Storni, ehe sie sich – mit 46 Jahren – ins Meer stürzt. […]

Anne Sexton machte ihren ersten Selbstmordversuch mit 29, es folgten viele weitere Versuche und Jahre der Therapie, in denen sie vom Selbstmord sprach und ihn „den Ausweg für Frauen“ nannte. Mit 45 Jahren zog sie den Pelzmantel ihrer Mutter an, trank ein Glas Wodka, ging in die Garage und vergiftete sich mit Autoabgasen. „Wenn der Tod einen nimmt und durch die Mangel dreht, ist es ein Mann. Aber wenn man sich selbst umbringt, ist es eine Frau“, schrieb sie. […]

Virginia Woolf steckte sich Steine in die Jackentaschen und ertränkte sich, gerade 59, in einem Fluss – sie hielt den Wahnsinn des Schreibens nicht mehr aus. „Frauen schreiben nicht, und wenn sie schreiben, bringen sie sich um“, zitiert die uruguayanische Dichterin Cristina Peri Rossi ihren Onkel, sie tut das in einem Nachruf auf ihre argentinische Kollegin Marta Lynch, die sich 1985 erschossen hatte.

Was geschieht hier? Warum verzweifeln gerade die klügsten, die schöpferischsten, die begabtesten Frauen so sehr am Leben, dass sie es nicht mehr aushalten können? […]

Es dauerte bis zur Französischen Revolution, bis endlich „l‘homme“ nicht mehr nur „Mann“, sondern „Mensch“ bedeutete. Das heißt, die kühne Vision der Gleichberechtigung stand 1789 endlich am Himmel. Da ist sie auch weitgehend geblieben. Denn es sind immer noch meistens die Frauen, die den Alltag bewältigen, die Kinder großziehen, den Haushalt führen, und sie wollen natürlich als Frau auch noch gefallen und geliebt werden, und gleichzeitig wollen sie leidenschaftlich brennen für ihre Werk, intensiv leben für ihre Arbeit, und dass dieser ganze Wahnsinn nicht auszuhalten ist, dass diese zermürbenden Widersprüche zur Katastrophe führen müssen, das merken sie, wenn sie alt, einsam, verlassen, krank, drogensüchtig, Alkoholikerin, verrückt, weggesperrt, an den „Frösten der Freiheit“ (Marieluise Fleißer) erfroren sind oder kurz vorm Selbstmord stehen: Else Lasker-Schüler, Mascha Kaléko, Irmgard Keun, […] – ach, es sind so viele.

Der Titel des kleinen Bandes ist ein wenig bond-mäßig. Die Leserin erwartet Intrigen und Auftragsmorde hinter jedem vorgestellten Profil. Dabei meint der Titel, wie im Vorwort beschrieben wird, etwas ganz anderes und gleichzeitig viel Wesentlicheres. Denn die beschriebenen Frauen waren zwar häufig den Anfeindungen ihrer Zeitgenossen sowie der schlichten Unmöglichkeit ihres Lebens ausgesetzt, aber von jemand anderem umgebracht wurden sie aufgrund ihres Schaffens in der Regel nicht. Viele, sehr viele von ihnen, haben Selbstmord begangen.

Ob sie wirklich an ihrem inneren Zwiespalt scheiterten? Am Nicht-Mehr-Aushalten-Können der unterschiedlichen Lebensweisen, der ihnen verbauten Möglichkeiten? Und an der, wie wir Modernen sagen würden: Doppelbelastung des Alltags?
Viele ja.
Gleichzeitig sehe ich – betrachtet man den Freitod, obschon selbst gewählt, tatsächlich als „die drohende Gefahr einer Schreibenden“ – das Schreiben an sich ebenfalls als etwas, das es auszuhalten gilt. Und das die Gefahr des elementaren Scheiterns mit sich bringt.

Denn Schreiben, das bedeutet, gegenüber einem Papier oder seiner digitalen Entsprechung maximal ehrlich zu sein. Ohne dein Innerstes in Worte zu kleiden, wird das, was du schreibst, nie glaubwürdig sein und niemanden berühren. Schreiben ist also eine Form der Selbstoffenbarung, die oft als Selbstfindung genutzt wird, zum Beispiel zu therapeutischen Zwecken. Schreiben bedeutet, auszuhalten, wer man selbst ist. Und das Veröffentlichen von Geschriebenem bedeutet nur zu oft, schutzlos dazustehen und Kritik an einem selbst ertragen zu müssen. Walls down, sozusagen.

Aber nicht jede_r erträgt die ungefilterten Emotionen eines sonst kontrollierten Verstandes.  „Wenn du dort hinabsteigst“, sagt ein spiritueller Lehrer über die Reise zum Innersten, zu den Emotionen und den größten Ängsten, „musst du auch Vertrauen dazu haben, wieder herauf zu kommen.“

Ich denke, darin liegt vor allem heute die Gefahr des Schreibens. Nicht, oder nicht ausschließlich, im Konflikt mit einer Gesellschaft, einer Rolle oder einer Form von Kritik – sondern im Aushalten der eigenen Abgründe, die sich jedem_r Verfasser_in schreibend erschließen.

 

Auszüge aus Bollmann, Stefan: Frauen, die schreiben, leben gefährlich. Mit einem Vorwort von Elke Heidenreich, München 2011.

  1. Also, im Fall von Virginia Woolf kann ich Dir sagen, dass sex. Missbrauch dahinter stand. Zusätzlich zu den mangelnden Möglichkeiten und Rechten als Frau.
    Habe ich aus dem Buch “WahnsinnsFrauen” (ich glaube, von Sybille Duda, weiss es aber nicht mehr richtig).

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