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Über #1000 Tode

Hier ist ein Bild einer hohen Konstruktion aus Stahl zu sehen, die über eine Treppe erreicht werden kann. Ich fand das als Symbolbild für eine Art Himmelsleiter sehr treffend. Früher hatte man uns erzählt, das sei der Weg, wie die Verstorbenen zu Gott kämen. Diese hier steht allerdings in Speyer und führt zu einem Jumbo-Jet, den man im Technikmuseum besichtigen kann.

Das Wahnsinnsprojekt von Christiane Frohmann rauschte bereits vor einiger Zeit durch meine SocialMedia-Kanäle. Wer meinem Blog schon länger folgt, der weiß, dass ich seit der re:publica 2014 ein großer Fan dieser klugen Frau bin. Aber das Projekt #1000Tode traf nicht nur meinen morbiden Nerv.

Darüber hinaus stellte ich nämlich fest, dass große Teile ganz wunderbarer Internetschreiberinnen und -schreiber bereits ein Teil des Projekts waren. Als im Dezember die erste Version der ursprünglich insgesamt vier Geplanten herauskam, staunte ich die Namen der darin versammelten Verfasser_innen an. Und beschloss, unbedingt zu versuchen, auch mitzuwirken.

Falls Euch die #1000Tode noch nichts sagen: Der Vorstand und die Exekutive des Frohmann Verlags (in Personalunion ;-)) hat es sich zum Ziel gesetzt, mit insgesamt 1000 Texten eine Art Metatext des Todes zu erstellen. Weil der Tod aus unserer Gesellschaft weggedrängt wird. Weil wir über den Tod sprechen sollten. Weil der Tod die Lebenden wesentlich mehr betrifft als die Toten.

Die eingereichten Texte sind so unterschiedlich wie die Hintergründe der  verschiedenen Verfasser_innen. Für die dritte Version werden nun auch fremdsprachige Texte gesucht, die veröffentlicht werden sollen. Das Projekt steht prinzipiell jedem offen. Der Erlös aus dem Verkauf der Reihe (4,99 Euro für den Ersterwerb, die Nachfolger erhält man automatisch dazu) wird dem Kindersterbehospiz SONNENHOF in Berlin gespendet.

Über die Arbeit von Christiane kann ich nur staunen. Lektorat, Autorenkommunikation, Organisation, Auswahl … wieviel Selbstdisziplin dahinter stecken muss, ein solches Projekt fast alleine zu bewältigen. Nicht nur thematisch ist das Ganze also ein Ausnahmevorhaben.

Brainstorming für meinen 1000-Tode-Text

Am Anfang jeder Reise zu sich selbst – ich meine natürlich, zu einem Text – steht die Themenwahl. Ein Text über den Tod? Welchen nehme ich? Als meine Oma mütterlicherseits starb, war ich unglaublich glücklich, weil sie so ein furchtbarer Mensch war. Ich wurde damals 28 und glaubte nicht mehr an die Hölle. Speziell für meine Oma wünschte ich sie mir aber herbei.
Bei der Beerdigung meines Opas hat sich die Festgemeinde derart betrunken, dass sie  auf den Tischen getanzt und “So ein Tag, so wunderschön wie heute” gesungen haben soll. Die Verwandtschaft ist noch heute, 40 Jahre später, über diese Vorstellung empört. Mich freut sie.
Als ein Freund meiner Mitbewohnerin sich das Leben nahm, stellte er seinen engsten Freunden eine Stereoanlage mit einer selbst aufgenommenen Cassette auf die Terrasse. Darauf ein Lied, das mit dieser Zeile beginnt: “You think a little love is all you need, but love is such a small thing, can´t you see?”. Sie spielten es auf seiner Beerdigung. Er war 18.
Einer meiner Freunde stürzte mit 23 von einer Klippe. In der Nacht vor seiner Beerdigung starb ich selbst mit meiner gerade drei Monate alten Tochter mehrere Tode. Um nicht am nächsten Morgen mit vollgepacktem Auto gegen den Baum zu fahren, sagte ich ab. “Eine Beerdigung reicht ja fürs Wochenende”, behauptete ich.
Die Freundin eines Bekannten befand sich unter den Opfern des Amoklaufs in der Erfurter Schule. Der gesamte Freundeskreis stand unter Schock.
Während meiner Schulzeit wohnten wir in der Nähe einer der gefährlichsten Straßen Deutschlands. Im Schnitt starben zwei Jugendliche jedes Jahrgangs auf ihr.

So viele Tode.

Am Ende reichte ich einen Text über einen räumlich nahen und trotzdem persönlich entfernten Tod ein. Mein literarisches Debüt! Der Mut für einen Text über die anderen Tode fehlt mir noch. Mit der vor kurzem eingetroffenen Mail „Toller Text! Ist dabei“ hatte ich daher nicht wirklich gerechnet.

Dass ich Teil von diesem Projekt sein darf, ehrt und freut mich wahnsinnig. Mein Text, der Tod Nr. 195, steht nun Seite an Seite mit bewegenden, beängstigenden, tröstenden, traurigen und Mut machenden Texten über den Tod in seinen vielen Gestalten.

Wer gerne am dritten Teil mitarbeiten möchte, kann sich vorab bei Stefan Mesch noch ein wenig mehr einlesen. Ich kann seine Blogbeiträge zum Projekt nur wärmstens empfehlen.

  1. Interessant zu lesen, wie du an die Findung deines Themas herangegangen bist.
    Bei mir war es ganz schnell sehr eindeutig.

    Ich werde mir jetzt mal direkt den Text 195 vornehmen. Ich bin gespannt…

    Es grüßt ganz lieb,
    Text 190
    (alias Nadine)

  2. So unterschiedlich sind die Herangehensweisen. Für mich war die Thematik auch sehr schnell klar. Danke für die Zusammenfassung. Lg alu (180)

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