Meine eigene re:publica: Rückblick auf die Highlights


Ich sitze hier mit medial völlig unterschiedlichen Vorlesungsskripten meiner persönlichen re:publica-Zusammenstellung. Die ersten Artikel namhafter Zeitungen sind raus, ich habe also nochmal schnell nachgelesen, wie ich das Ganze denn gefunden haben könnte, und resümiere für mich die echten Highlights aus den letzten aufregenden und fachlich dichten Tagen.

Semiotik für Nerds

@bjoerngrau und @meta_blum gestalteten am Montag vormittag einen lebhaften Workshop, bei dem sicher vor allem Literaturwissenschaftler auf ihre Kosten kamen. Mit Ecos Semiotikbegriff bewaffnet gings an die pitfalls der online-Kommunikation. Für mich der richtige Einstieg in die re:publica und, auch wenn die beiden Vorträger am Anfang ihre Bedenken geäußert haben, auch für Fortgeschrittene nicht langweilig. Auch wenn ich der These, Online-Kommunikation sei per se „flacher“ als face-to-face-Kommunikation, so nicht folgen möchte (wir können das ja gerne diskutieren. Was meint der Rest der Nerds?), boten die beiden für Anfänger einen guten Überblick und für die etwas Weiteren eine prima Gedächtnisstütze.

Cybersexism

Durch einen Unfall fand ich mich auf stage 1 und damit beim Vortrag von @pennyred. Nur, um dann ein paar Minuten später festzustellen, dass ich kaum richtiger hätte sitzen können. Mit viel Engagement und Humor, aber auch mit einem Duktus, der keinen Zweifel an ihrer eigenen Verletzbarkeit durch das Thema aufkommen ließ, erklärte Laurie Penny die Dimensionen, die Cybersexismus annehmen kann. Sie erwähnte aber auch, woher sie sich persönlich Lösungen erwartet: „The problem is the internet. And the solution is… the internet!“ Sehr authentisch, emotional berührend und ziemlich fundiert. Auf eine Frage aus dem Publikum entgegnete sie: „If there are not enough women on your tech conference, then your tech conference sucks!“ Im Publikum saßen nach dem Vortrag mit Sicherheit ein paar brandneue Feministen und Feministinnen.

Decoding a book – Was ist Buch?

Nachdem ich vom Vortrag „Das Buch muss überwunden werden“ doch recht enttäuscht war – bereits der Titel des Vortrags war falsch gewählt: Missverständlich wurde von der Überwindung des physischen Gegenstands Buch gesprochen, wo doch wohl eher das Urheberrecht gemeint war. Am Ende kam durch diese Fehlleitung keine vernünftige Diskussion mehr zustande –  saß ich am Dienstag in der proppevollen Session von @sinnundverstand, und war ziemlich begeistert. Die Vortragende Wibke Ladwig leitete ein, – mein Deutschlehrer nannte das immer eine „captatio benevolentiae“, eine „Vorrede der Bescheidenheit“ – mit dem Understatement, sie präsentiere hier keine Ergebnisse, sie hätte lediglich einen Haufen Fragen zu bieten. Die Fragen zu Wesen, Idee und Zukunft des Buches schienen für das breite Publikum aber genau die richtigen gewesen zu sein. Lebhaft wurde danach diskutiert, ob alle Ebenen des Buches und der Digitalisierung erfasst worden seien. Viele Hintergrundinformationen zur Buchbranche gab es für mich, das heißt, da war obendrein noch vieles ganz neu. Und am Ende hatten wir zwar alle keine Lösung, aber sicher aufs Schönste und differenzierteste das Problem bewundert. Einzig mir fehlender Aspekt: Bei der Frage, warum Menschen eigentlich Bücher lesen und was der spezifische Mehrwert ist, der uns auch im digitalen Zeitalter das Buch erhalten wird, kam die Frage nach der Tradition des Bücher Lesens zu kurz. Bestimmte mit dem Buch verbundene Werte sind nämlich auch bei Nicht-Lesern im Kulturgut verankert und werden bereits seit einigen hundert Jahren tradiert. Was Tradition hat, überlebt meistens noch so hartnäckige Beerdigungen:))

http://www.youtube.com/watch?v=T7p5Wx9G_-s

Die Session zur Netzpolitik von Markus Beckedahl blieb hinter meinen Erwartungen zurück, aber am Vortag hatte mir die von Johnny Häusler moderierte Diskussion zu Youtube so gefallen, dass ich meinen Plan umschmiss und bei den „Netzgemüsen“ rumhing. Umso überraschender, als die Moderatorin ankündigte, die beiden Vortragenden würden jetzt gleich „lieber im Quadrat kotzen“. Dann ging es eine Viertelstunde in einer Art spoken word performance um das, was die Gesellschaft für die Jugend (eben nicht) tut. Wie sehr wir versuchen, die Kinder, die wir brauchen, in geordneten und überwachten Räumen wegzusperren, auf dass sie bloß niemals lernen, „laut zu sein“. Da fielen so schöne und eingängige Formulierungen wie „Keine Experimente, wir brauchen die Rente!“, und es gab bestimmt achtmal Szenenapplaus. Wer keine Kinder hatte, verstand, dass es hier ein Problem gibt. Wer wie ich selbst Kinder hatte, konnte das Problem nur bestätigen, sah aber nach dem Vortrag noch einmal vieles pointierter. Auch, dass wir den Kindern zu wenig Medienkompetenz vermitteln, weil wir sie oft selbst nicht haben, wir, die Elterngeneration, und uns dann vor allem eines machen: SORGEN um das, was der Nachwuchs da im Web so treibt, ist sehr wahr und tat auch ganz schön weh. Meine achtjährige Tochter hat seit gestern einen Mailaccount und weiß nun, wie man einen Browser bedient. Dass ich da eine Kindersuche und eine Kindersicherung reingekloppt habe, finde ich jetzt aber nicht widersprüchlich.

Felix Schwenzel hat am darauf folgenden Tag in seiner Session formuliert: „Wut klappt immer. Jeder, der schon mal ins Internet gekotzt hat, weiß das!“. Kann ich nur bestätigen: Der anhaltende Applaus nach dem Vortrag der beiden Häuslers und die ein oder andere Wutträne bei den Zuhörern sprachen Bände. Ich hab natürlich nicht geheult. Sowas mach ich nicht. Echt jetzt. Get off of my back!

http://www.youtube.com/watch?v=PDYEl62g1b8

Vieles andere war echt gut, einiges wenige überflüssig, wie z.B. der enttäuschende Vortrag „facebook – vom Revolutionsmacher zum Revolutionsgegner“. Videos zur ägyptischen Revolution auf youtube gucken finde ich zwar wichtig, hatte ich persönlich aber bereits hinter mir. Da der Vortrag aus nichts anderem bestand als den gezeigten furchtbaren Gewalttätigkeiten, fragte ich mich, ob ich die Zeit nicht besser an der Bierbar verbracht hätte. Das allerdings ist bereits Jammern auf hohem Niveau, denn im Großen und Ganzen wäre, aus meiner Perspektive, jedes nicht rein punktuelle Meckern schlicht gelogen. Ich fahr wieder hin. Danke re:publica13!


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