Das Netz ist das, was Du draus machst

Das Netz und so, Der Stoßseufzer, In eigener Sache, Internet und Gesellschaft, Was mit Reden

#fsa13 – 28 Stunden für Demokratie und Grundrechte. Mit Links

Freitag Nacht quetschte ich mich in einen fast vollbesetzten piratenlastigen Grünen-Bus (oder andersherum, wer blickt da schon durch?), fuhr mit 46 anderen Menschen und zwei Kästen Club Mate nach Berlin, nahm an der „Freiheit statt Angst“ teil, latschte gefühlte vier Stunden schreiend durch die Gegend und gewann am Ende den Eindruck, definitiv auf der richtigen Seite zu stehen. Todmüde, aber in der Überzeugung, das habe alles schon so gepasst, kam ich Sonntag am frühen Morgen zuhause an.

(Hinweis: Der Rest dieses Textes ist eher für LeserInnen, die die Debatte um die fsa13 ein wenig mitverfolgt haben oder dies gerne tun möchten.)

Duschen, Kinder begrüßen. Kaffee, After-Demo-Stimmung und noch ein bisschen „Guten Morgen NSA“ via spreeblick. Twitter an. Blogposts über die Demonstration lesen.

Bei Daniel Bröckerhoff gibt es einen schön animierten Bericht zur fsa mit shortcuts der besten Redebeiträge. Fühle mich bestätigt. So ähnlich habe ich den Tag auch erlebt.

Claudia Klinger schreibt:
„Die “Mitte der Gesellschaft” war zum Demonstrieren gekommen, so zumindest die Einschätzung der Polizei, die nicht martialisch auftrat, sondern die Veranstaltung ganz entspannt begleitete. Ich sah nicht nur junge, sondern auch viele ältere Menschen – erfreulich!“

Zustimmung, dann weiter:

Auf spreeblick schreibt Johnny Häusler:
„Als der Demonstrationszug durch die Stralauer Straße zog, verhallten die Sprechchöre an den Fassaden der am Wochenende unbesetzten Büro- und Amtsgebäude.“

Ja, über die Demo-Route durch ein Geschäftsviertel an einem Samstag ist zu debattieren. Ja, klar, irgendwas ist bekanntlich immer. Aber was seh ich? Julia Seeliger hat auch was geschrieben:

„Bei der Auftaktkundgebung gab es Situationen, bei denen die Antifa “Nie, nie nie wieder Deutschland” schrie. Ich habe das auch geschrieen, völlig unvermittelt und nicht mit der Antifa verbunden. Ich schrie das, nachdem Padeluun von einer “Immunschwächekrankheit” gesprochen hatte. Richtig zugehört habe ich den Reden nicht, aber die Tendenz kam mir unangenehm vor.“

Hm, war die Julia auf der gleichen Demo wie ich? Da der Name des Moderators übereinstimmt, muss das wohl so gewesen sein. Irritation, aber weiter:

Der kiezneurotiker beschwert sich auf seinem Blog, dass die Feministinnen, die Jungen Liberalen, die Verschwörungstheoretiker, die Grünen, die Volksentscheid-fordernden Demokraten, die ewigen Demo-Routiniers und und … mitgelaufen sind. Die hatten da nämlich offenbar alle nichts zu suchen. Außerdem war die Antifa viel zu brav.

Aha. Schwere Irritation. Dann aber der Hammer:

Michael Seemann schreibt:
„Ich kann gar nicht sagen, wie mich diese Mischung aus schlichtem Bullshit, kaum verdecktem Nationalismus und Antiamerikanismus und der Unehrlichkeit, Anbiederei und Kungelei mit der Polizei ankotzt. Und doch unterstreicht es nur das Unwohlsein, dass ich während der gesamten Demonstration spürte.“

WTF? Nochmal lesen.

Twitter aus. Rechner aus. Tiieeeef durchatmen.

Heute ist Montag. Die Sonne scheint gerade. Ich habe etwa acht Stunden geschlafen und brav mein inneres Lächeln geübt. Jetzt kann ich was schreiben. Dabei beziehe ich mich auf die letzten drei Beiträge, die ich hier verlinkt habe. Danke an Claudia, Daniel und Johnny für Ihre Artikel, ohne die ich jetzt annehmen würde, meine Matrix hätte mir einen üblen Streich gespielt. Das hier geht an den Rest:

Meine lieben, geschätzten, klugen, engagierten, sich gegen die Überwachung einsetzenden Menschen. Wir müssen nicht alle in allen Punkten einer Meinung sein. Es ging bei der Demo nicht um ein klares, sagen wir, acht-Punkte-Papier zur gesetzlichen Verankerung des freien Internetz. Es ist absolut nicht nötig, uns zu fragen, ob verschiedene Gruppierungen an einer Demo eigentlich teilnehmen dürfen (das ist ja absurd!). Es bringt rein gar nichts, uns um die Zahlen der Teilnehmenden zu streiten. Es zeugt nicht von ungeheurer Kreativität, einer Demo gegen die Überwachung durch Geheimdienste, auf der ein amerikanischer Internetaktivist sich für seine Regierung entschuldigt, platten Antiamerikanismus vorzuwerfen. Es ist darüber hinaus nichts als offene Provokation, den Menschen, die auf dieser Demo waren, aufgrund des wordings verschiedener Teilnehmer ein Abgleiten in den Nationalismus zu unterstellen. Es zeugt mindestens von großer Unbedachtheit, vielleicht sogar von Geltungssucht, sich im Nachhinein derart abfällig über eine große Zahl von Menschen zu äußern, die sich in Berlin für ihre Grundrechte eingesetzt haben. Bei dem Versuch, möglichst viele Menschen zu mobilisieren, versucht man, den größten gemeinsamen Nenner zu suchen. Für eine kurze Dauer solidarisiert man sich dabei mitunter, obwohl man sonst mit den Anderen vielleicht rein gar nichts teilt. Ich lasse jetzt mal die Kritik des kiezneurotikers an der Friedlichkeit und Gewaltfreiheit der Demonstration außen vor. So einen Scheiß kann ich ja kaum ernst nehmen. Aber die anderen Punkte nehme ich dafür sehr ernst. Und frage mich folgendes:

Wie wollen wir eigentlich gehört werden, wenn wir nicht in der Lage sind, persönliche Befindlichkeiten für den Moment hinten an zu stellen, um für ein Ziel zu demonstrieren? Wenn sich nachher die eine Hälfte der so genannten Netzgemeinde mit der anderen streitet? Wenn dann sogar infrage gestellt wird, dass das freie Netz überhaupt etwas ist, für das es sich aufzustehen lohnt? Wenn diejenigen Repräsentanten, die sich mit uns solidarisieren, im Nachhinein nur hören, wie ätzend es war, dass sie da waren? (Randbemerkung: Das Thema ist, wie wir alle wissen, nicht wahlkampfrelevant genug. Der Vorwurf, auf den Wellen des Überwachungsskandals Wahlkampf zu betreiben, ist schlichter Unsinn.) Und wenn alles, was über diese Demo tatsächlich an die Öffentlichkeit dringt, die mit dieser harschen Kritik angestoßene Debatte ist? Auch in diesem Fall bin ich selbstverständlich Verfechterin der freien Meinungsäußerung, also kommt mir bitte nicht mit: “Wie, dürfen wir jetzt nicht mehr sagen, dass wir es scheiße fanden?”. Doch, sehr gerne. Aber wie wäre es, wenn sich alle vor dem Bloggen und Twittern und Posten mal überlegen, welche Außenwirkungen das Geäußerte haben könnte, und ob es vielleicht den Inhalten, für die man tatsächlich steht, schadet, wenn man so reflexartig ins Internet kotzt?

Ich für meinen Teil bin an diesem Tag gerne mit den Piraten, den Grünen, den Verschwörungstheoretikern, den Jusos, den Julis, den Feministinnen und den vielen anderen Labels gelaufen, die den ein- oder anderen von Euch so stören. Sogar mit der Antifa. WEIL sie friedlich war. Und wollt Ihr wissen, was ich gesehen habe?

Menschen, die in einer offenen Gesellschaft leben möchten.

Nehmt mal Eure Scheiß-elitären Brillen ab. Die verstellen Euch nämlich offenbar die Sicht.

Es gäbe dazu noch einen ganzen Haufen mehr zu sagen – aber das, wie so viele der Punkte, die Michael Seemann kritisierte, sind eigentlich Aspekte einer ganz anderen Debatte und Fragestellung. Nämlich der, wie wir ein freies Netz eigentlich gestalten wollen. Aber die Frage können wir uns erst stellen, wenn wir eines haben. Ne?

Meine Tochter hat mich beim Schreiben beobachtet und aufgrund meines Stirnrunzelns Fragen gestellt. Ich habe versucht, ihr mit einem Vergleich zu erklären, was los ist und was mich jetzt stört. Meine Achtjährige hat folgenden Kommentar in mein Notizheft geschrieben:

„Die sind ja gar nicht positiv! Die sind uncool und doof wiso gehen sie dan zur Demo wenn Sie es Scheisse finden.“

Der erste Rant meiner Tochter. Ist dem noch was hinzuzufügen?

Ich erwarte nicht nur nette Kommentare. Freischalten werde ich hier alles, was mit einem Mindestmaß an Anstand daherkommt.

  1. Oh Mann, ich bin froh, dass Du das geschrieben hast. Ich habe dieses Gemotze bei kiezneurotiker gelesen und mach ebenfalls aufgeregt. Ich hätte gerne verbal die Gewalt an den Mann gebracht die der Artikel bei der Demo forderte. Wie arrogant kann man denn bitte sein?

    Deshalb ich froh, dass Du das hier geschrieben hast. Viiieeel besser, als ich es je hätte sagen können (vor allem diplomatischer) Vielen Dank!

  2. Bernd-Christoph

    Danke für Deinen Bericht, in dem ich mich wiederfinden kann. Ich hatte mich keinem Block angeschlossen, sondern bin als freies Radikal durch die ganze Demo gelaufen. Ich war so grenzenlos naiv, mich in Berlin zu freuen
    – über die vielen, vielen Leute, die gekommen waren
    – über die gute Organisation und die kämpferische, aber entspannte Stimmung
    – über die vielen “Sie heißt Chelsea”-Plakate und den paar Ahnungslosen mit Bradley Manning-Masken, die noch schnell vor Ort aufgeklärt wurden & ihre Plakate gleich ummalten
    – über die Tatsache, dass der Antifa/Anticapitalista-Block anders als bei Blockupy in Frankfurt (wo ich prompt im Kessel landete) keinen Polizeikordon hatte, der ihm und uns provozierend nahe auf die Pelle rückte
    – über das schöne Abschlusskonzert mit Dota Kehr
    Als ich 24h später wieder in Stuttgart war und die Netzkommentare sah, glaubte ich auch, auf einer anderen Demo gewesen zu sein. Aber ich habe für mich beschlossen, mir die Stimmung nicht vermiesen zu lassen und meine Energie für Dinge aufzusparen, die mir wichtiger sind als verbale Scheingefechte.

    • Hallo Bernd-Christoph,

      es tut mir tierisch leid, Deinen Kommentar so spät freizuschalten! WordPress hat ihn in meinen Spam-Ordner getan (pfui, wordpress), und dort habe ich ihn eben erst gefunden. Das ist noch nie passiert – ich werde den Ordner jetzt öfters checken:( Sorry!

      Schön, dass Du die Demo auch so empfunden hast, und das Konzert erwähnst. Ich saß aufgrund der späten Busabfahrt auch noch recht lange mit Bier bei der Musik und habe mich gefreut. Dein Kommentar zeigt mir, dass es noch mehr Leute gab, die das Ganze als positive Erfahrung gewertet haben. Damit rückt dieses völlig unnötige Bashing, wie ich finde, in den Hintergrund. Danke!

  3. Volle Zustimmung! Ich hatte ähnliche Irritationen bei einem kritischen Artikel von mspro – Link und mein Kommentar hier:

    Furchtbare Erkenntnis: um wirklich etwas zu bewegen, braucht es die ANDEREN.

    • Da war doch glatt ein differenzierter Kommentar unter dem Blogpost;-) Ist mir in meiner Aufregung komplett entgangen. Danke für den Link! Ich zitiere mal kurz aus dem Kommentar und empfehle die Lektüre nachhaltig:

      “Geht das denn gar nicht: Das GEMEINSAME sehen – und für seine Verwirklichung zu kämpfen? Und dafür zur Not alles andere, in unseren Zeiten der individuellen Verwirklichung ständig MEHR werdende Trennende mal beiseite zu lassen?”

  4. Karin

    DANKE! DANKE! DANKE! Genau richtig was du sagst! und nochmal: DANKE!

  5. Lisa Meyers

    Wenn es egal ist, sich um Zahlen zu streiten, was spricht dagegen, die wahren zu nennen? Vielleicht waren wir nur 7000 bis 10000 – na und? Dann war es eben so. In dem Moment, in dem wir uns an den Zahelnspielereien beteiligen, die Masse mit Relevanz verwechseln, sind wir keinen Deut besser als eine Regierung, die Wahlergebnisse fälscht, um 98 % Zustimmung verkünden zu können. Davon abgesehen hilft es auch nichts. Natürlich können wir uns in Schein unserer erlogenen Zahlen sonnen – nur um dann aus allen Wolken zu fallen, wenn die Wahlergebnisse uns wieder auf den Boden der Tatsachen zurück holen. Ich jedenfalls weiß lieber um meine eigene Schwäche und arbeite daran, stärker zu werden, als wie ein Scheinriese vor vermeintlicher Kraft herumzustolzieren und beim ersten Windstoß umzufallen.

    • Da ich die genauen Zahlen nicht kenne, habe ich sie nicht genannt. Das ist alles. Man kann jetzt durch alle Beiträge gehen und eine Art Mittelwert bilden. Es wäre auch denkbar, die NSA zu fragen;-) Ich glaube nicht, dass wir die exakten Zahlen herausfinden, und da ich selbst sehr schlecht im Schätzen bin, habe ich es unterlassen, eine eigene Schätzung zu machen. Was die Relevanz betrifft, so hast Du Recht. Aber öffentliche Aufmerksamkeit erhält man selbst bei relevantesten Themen nur, indem es gelingt, eine Masse zu mobilisieren. Mein Punkt galt hier der Tatsache, dass das nicht funktionieren wird, wenn jeder seinen eigenen Befindlichkeiten mehr Aufmerksamkeit schenkt als dem gemeinsamen Ziel. Danke für Deinen Kommentar!

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