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Internet und Gesellschaft, Kinder

Partielle (Sonnen-)Finsternis II

Hier ist ein Bild des Himmels zu sehen, die Sonne versteckt sich (noch halb sichtbar) hinter einer großen Kumuluswolke

Nachdem ich mich in diesem Post am Donnerstag abend fürchterlich aufgeregt habe, passierten mehrere Dinge zeitgleich. Da ich das alles nicht in einem einzigen “EDIT” des drei Tage alten Blogposts unterbringe, habe ich mich entschlossen, ein Update mit Links zu veröffentlichen.

Kurz nachdem mein erster Beitrag online war, rief unser Elternvertreter in der Klasse der 7-jährigen an. Nachdem er am frühen Abend auf die sehr spontane Mail unserer Schulleitung mit Unverständnis reagiert hatte, hatte er sich überlegt, mit einigen Kindern der Klasse eine spontane Sonnenfinsternis-Unterrichtseinheit abzuhalten. Das ist unter anderem deshalb so großartig, weil unser 1. Elternvertreter Astrophysiker ist. Ich sagte für meine Mittlere begeistert zu, nahm Kontakt mit der Klassenlehrerin auf, um sie für die ersten Unterrichtsstunden zu entschuldigen, und begann die Suche nach einer Lösung für unsere größere Tochter. Währenddessen explodierten meine Twitter-Mentions, die Zugriffsstatistiken auf dem Blog und sogar aus dem etwas vernachlässigten facebook bekam ich viele Benachrichtigungen über meinen Post. Auf der einen Seite freute sich mein Bloggerherz ungemein. Auf der anderen Seite kam ich in meiner Wut und Organisation kaum hinterher, die vielen Hinweise und Diskussionen nachzuverfolgen. Über 200 Interaktionen alleine in der ersten Stunden nach der Veröffentlichung allerdings zeigten direkt: Das Verhalten unserer Schule war nichts Besonderes. Bundesweit ließen die Schulen aus Angst vor den Folgen eines Blickes in die Sonne die Jalousien herunter und verlegten die Pausen.

Nachdem unsere beiden Mädchen durch die spontane Initiative von großartigen Eltern die Sonnenfinsternis miterleben konnten, habe ich mit der Nachlese begonnen: Sowohl Rainer als auch Martin fragen sich bereits am Donnerstag abend, woher die mediale Panikmache kommt, wie sie zu einer solchen Überreaktion von Schulämtern und Schulen führen konnte und wie das hätte verhindert werden können. Der Spektrallinie erklärt, wie sich diese Phobie vor der Sonnenfinsternis in den letzten Monaten aufbaute, und wie dramatisch er den Unterschied zu 1999 erlebte. Ruhrbarone machten sich die Mühe und fragten bei den Bezirksregierungen und Ministerien an, welche Anordnung eigentlich an wen ging und warum. Auch Ela fragt sich in ihrem Post, welche Ausmaße sowohl Hype als auch Panik eigentlich noch annehmen können. Und in der FAZ findet sich nach der Sonnenfinsternis ebenfalls ein Artikel, der die Ereignisse reflektiert.

Die entsprechenden Blogposts, die schon am Donnerstag online gingen, wurden geteilt und kommentiert – mit einem Tag Vorlauf ist es mehr als schwierig, in Deutschland noch eine Art kleinen Widerstand zu organisieren, aber allein die Zahl an spontan gebastelten Lochkameras muss in der Nacht zu Freitag dramatisch angestiegen sein – glaubt man den vielen Kommentaren und Fotos in den entsprechenden Twitterdiskussionen.

Mein absolutes Highlight dabei: Richard, der sich spontan entschloss, die Schule seiner Kinder mit selbstgebastelter Lochkamera zu besuchen:

Auch er erfuhr offenbar über meinen Post, dass es selbst in Heidelberg Schulen gibt, die ihre Fenster verdunkeln – die Schule seiner Kids gehörte zum Glück nicht dazu. 

Frau Novemberregen dagegen, selbst eilige Nachtbastlerin, musste den Anruf und die Bedenken ihrer Schulleitung am Morgen der Sonnenfinsternis selbst entgegen nehmen. Es bleibt mir vollkommen unerklärlich, warum Eltern derart spontan vor vollendete Tatsachen gestellt werden – und nein: Nach 1999 hat eine solche Paranoia schlicht und einfach kein Mensch absehen können.

Zu allem hinzu kamen nicht nur bei mir sehr unerfreuliche Twitterdiskussionen, eine offenbar mit einer jungen Lehrerin, die fand, dass unter versicherungsrechtlichen Aspekten das Verhalten der Schulen nicht nur vorbildlich, sondern darüber hinaus streng nach Anleitung der Schulämter sei, und dass wir “Eltern” immer auf die armen Lehrer “draufhauen” würden, ohne “die Hintergründe zu kennen.” Vorher hatte sie noch empfohlen, sich frei zu nehmen und selbst etwas zu organisieren, wenn denn diese Sonnenfinsternis so wichtig sei.

Ein solches Gespräch bringt mich gleich aus mehreren Gründen an den Rand der Verzweiflung: Zum ersten führt diese feindliche Lager-Metaphorik “Eltern vs Lehrer” wirklich niemals irgendwo hin. Zum zweiten finde ich es unglaublich, dass auch heute noch von jungen, hinreichend intelligenten Menschen derartige white-privilege-Sprüche wie “Man möge sich doch bitte spontan freinehmen” geklopft werden. Die soziale Realität ist, dass an unserer Schule erneut die ohnehin privilegierten Kinder noch schnell eine persönliche Lösung organisiert bekamen – durch flexible und gut ausgebildete Eltern. Und was ist mit den anderen? Sind die selbst Schuld? Hätten ihre Eltern sich einfach einen besseren Job suchen sollen? Zum dritten, und jetzt erdreiste ich mich, hier ein wenig auf dem Faktenwissen herumzuhacken: Ich KANNTE die Hintergründe und den Wortlaut der Anordnung des Schulministeriums. Die Aktionen der Schulen waren Auslegungssache, nicht mehr, nicht weniger. Die Funktion eines Elternbeirates ist es,  solche Entscheidungen infrage zu stellen. In Anbetracht der knappen Vorlaufzeit eben auch einmal lautstark. Wenn ich damit erreichen konnte, dass ein paar Kinder mehr am Freitag die Sonnenfinsternis sehen konnten, bin ich glücklich. Die Diskussion in der Nachbereitung mit Lehrerinnen und Lehrern bringt zwar überhaupt nichts – die nächste partielle ist schließlich erst 2026 – aber ich kann eine so deutliche Aussage zu unserer Gesellschaft, wie Ranga Yogeshwar es sehr treffend hier formulierte, auch nicht einfach unkommentiert stehen lassen.

Wer gerne im Nachhinein ein paar beeindruckende Videos und Erläuterungen zu Sonnenfinsternissen sehen oder seinen Kindern zeigen möchte, dem sei der Blog von Daniel Fischer wärmstens empfohlen.

Neben der abschließenden Bemerkung, dass 1999 zur totalen Sonnenfinsternis von drei Fällen mit schweren Augenverletzungen berichtet wurde (- zum Vergleich: Alle 19 Minuten kommt in Deutschland ein Schulkind im Straßenverkehr zu Schaden -) hier ein paar Eurer Tweets zum Thema. Deutschland 2015 … ohne Worte.

 

Danke für Eure Kommentare und Tweets – und entschuldigt, wenn ich nicht alles habe beantworten können.

  1. Anita

    http://www.ruhrbarone.de/wp-content/uploads/2015/03/Schreiben-an-Bezirksregierungen-zu-Augenlichtschutz.pdf

    Zitat: “Über die sich hierdurch bietenden pädagogischen Möglichkeiten bedarf es sicherlich keiner Ausführungen”

    Anscheinend DOCH!

    Mal ehrlich, welcher Schuldirektor hat diesen, AM ANFANG von 2 Seiten stehenden Satz noch im Kopf, nachdem er sich durch den Rest an Warnungen und Befürchtungen und rechtl. Hinweisen gequält hat. Und die Fachschaften sind darum bemüht, den “Laden” am laufen zu halten. (Beispiel Fachschaft Sport sammelt Bälle jeglicher Größe und Couleur, weil einfach kein Geld da ist, ebenso ist es mit Badminton- und Tischtennisschlägern)

    Wie gesagt, für jeden Mist wird Geld eingesammelt. Ich hätte mit Freuden hier das notwendige Geld gegeben. Ich bezahle ja auch Kunstgeld, Kopiergeld, Geld für den Schulplaner, für Theaterbesuch und Wandertag. Ich erwarte hier nichts für umsonst.

    Außerdem wissen wir nicht, was die Reg.-Bezirke daraus gemacht haben oder sie dieses Schreiben einfach weitergeleitet haben.

    Hier herrscht die Panikmache vor.

    Und die Eltern ausschließlich in die Pflicht zu nehmen. Ähm………

    Da frag ich mich manchmal, warum wir eine Schulpflicht haben und warum ich hier sooooooooooooo viele Aufgaben der Schule übernehmen soll (muss!!)

    Ja, ich sehe alles durch die “Behinderungsbrille”. Aber glaubt man ja nicht, dass es mir alleine so geht!

    Mit vier autistischen Kindern und dem täglichen Alltagswahnsinn aus Therapien und dergleichen, bin ich wahrlich ausgelastet.

    Der Bildungsauftrag liegt in der Schule. Dafür gehen die Kinder da hin. Aber Schema F regiert und alles was drüber oder drunter oder “unvorgesehen” ist wird mit der “Rasenmäher-Methode” niedergemacht.

    Es kann NICHT SEIN, dass ich hier alles auffangen und kompensieren soll, was da nicht gemacht wird!

    Liebe Grüße Anita

  2. Hey, danke für die nette Erwähnung. Aber das war nun wirklich nichts besonderes! Vor allem aber danke für die zwei Blogposts. Der erste hat mich angespornt, den zweiten nehme ich gerne als Linksammlung für einen eigenen 😉

  3. Huhu,
    ganz lieben Dank noch mal fürs verlinken <3
    Ein gutes hat das ganze ja, ich hab Deinen Blog für mich entdeckt 🙂
    LG Ela

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