Ja, ich bin spät dran. Aber die Buchmesse hat mich als Messe-N00b auch wirklich vor eine Herausforderung gestellt. Die vielen Eindrücke, die endlosen Gänge und riesigen Hallen voller Menschen, die gleichzeitige Empfehlung der Messe-Erfahrenen (“Genieß es, so leer wird es nicht bleiben …”) und die zahlreichen interessanten Vorträge, zwischen denen ich mich entscheiden musste … das alles wollte erst einmal ein wenig Abstand vor der Berichterstattung.
Also jetzt, hier meine Highlights vom 8. Oktober:
Die erste Überraschung im Vorfeld für mich war, dass die Messeorganisation keinen Unterschied mehr zwischen Bloggern und Journalisten macht. Was ich für einen sehr sinnvollen Schritt halte, nachdem ich die große Zahl der liebevollen, individuellen Messerückblicke gelesen habe. Die Verlage allerdings scheinen noch nicht viel mit den z.T. bunten, leger gekleideten Bloggern anfangen zu können, die zwischen den oft konservativ wirkenden Printjournalisten schon ein wenig auffallen. Der Pressebereich mit WLAN, Getränken und Infomaterial ist auch den Blogger_innen zugänglich, was uns am Abend ermöglichte, noch ein schnelles Bild zu twittern. Was? Dafür war das WLAN nicht gedacht? Seis drum.
Mein erster notierter “Pflichttermin” war die Führung durch das Klassenzimmer der Zukunft von e.learn.it. Unter dem Stichwort Globales Lernen erklärten die Verantwortlichen, wie eine Mischung von Lerninhalten unter verschiedenem medialen Einsatz in Zukunft aussehen könnte. Die Kinder lernen dabei mithilfe der neuen Medien in einer Mischung aus Vortrag und verschiedenen Versuchen/Workshops fächerübergreifend. Ich sah eine Vorführung einer Unterrichtsstunde, die sich thematisch mit den Auswirkungen der Plastikproduktion der Menschen auseinander setzte. Während der Vortragende, der selbst Forschungen zum Plastikaufkommen in den Weltmeeren durchführte, von Plastikinseln und Verseuchung sprach, hörten ca. 20 Kinder aufmerksam zu. Danach konnten sie, z.T. angeleitet, zum Teil frei verschiedene Experimente durchführen. Eine Referentin erklärte derweil den anwesenden Journalistinnen, dass zu den Lerninhalten der Zukunft auch Gamification, also spielerisches Lernen mit neuen digitalen Medien, sowie z.B. der von Lego finanziell unterstützte Bau eigener Roboter und das Erfinden/ Erzählen eigener Geschichten dazugehörte. Zu Sponsoring von Inhalten oder Material durch Firmen gibt es in Deutschland zwar eine rege Diskussion, aber so richtig wollen mir die Nachteile bei einem solchen Beispiel nicht einleuchten.
Davor habe ich nach Holger gesehen, eigentlicher Auslöser für mich, dieses Jahr die Buchmesse zu besuchen. Holger gab mir Einblicke in die hochwertig produzierte wissenschaftliche Literatur des Nischen-Verlages fromann-holzboog. Der kleine Verlag macht keinen Direktvertrieb, sondern beliefert vor allem (Uni)Bibliotheken. Das Blättern durch die in Leinen gebundenen Bände mit dem präzisen Satz, den heute kaum ein Verlag noch verwendet, erinnerte mich an stundenlange Recherchen in den Gewölben meines Seminars. Dass heute noch solche Bücher, Bücher für ein Jahrhundert, produziert werden, ist ein schöner Kontrast zu der sich immer weiter ins Digitale öffnenden Buchmesse.
Eine Entwicklung, die auch an den Vorträgen im Wissenschaftsbereich der Buchmesse deutlich wird. Mein erklärtes Highlight hier: Der IT-Sicherheitsvortrag im fast schon obligatorischen Iron-Maiden-T-Shirt. Wusstet Ihr, dass Ihr Computerviren mit 14-Tages-Garantie bei russischen Programmierern kaufen könnt? Einer der Gründe, warum Ihr niemals gefundene USB-Sticks in vernetzte Computer stecken solltet. “USB-Sticks sind Waffen”. Und falls Ihr mal einen Erpresserbrief formulieren wollt, benutzt am besten nicht Euren Laserdrucker, denn der ist individuell nachverfolgbar. Nur als Tipp an die potentiellen Verbrecher unter Euch. 😉
In der Außenwahrnehmung erschien mir die Frankfurter Buchmesse immer etwas konservativ. Als Besucherin stellte ich fest, dass das zumindest zum Teil eine Fehleinschätzung war. Der Trend zur Digitalisierung ist allgegenwärtig. Das gedruckte Buch wird dabei immer mehr zu einer Art Kultgegenstand, zum Liebhaberobjekt, was an den liebevoll illustrierten und schön gebundenen Hardcovern der namhaften Verlage deutlich wird. Beeindruckend, so zwischen den Suhrkamp-Blockbustern und den Wallstein-Reihen durchzuflanieren, auch wenn ich merkte, dass mich DIESE Bücher aktuell nicht interessieren.
Dafür das Angebot des Orange Press-Verlags, auf den ich nur aufmerksam wurde, weil an prominenter Stelle (nämlich genau in meiner Blickhöhe) das Buch von Michael Seemann präsentiert wurde. Ich habe das Buchprojekt, das durch Crowdfunding finanziert wurde, in einem Artikel behandelt und daher das Projekt eine Zeitlang intensiv verfolgt. Der Orange Press-Verlag hat die Druckversion des Buches bereit gestellt. Die Bücher werden kostengünstig gedruckt, von Aufwand und (eher mäßigem) Lektorat kein Vergleich mit den Bänden, die ich bei Holger gesehen hatte. Aber das Angebot des Verlags hat mich sehr überrascht. Alle Bände behandeln aktuelle Entwicklungen, sowohl aus politischer als auch aus kultureller oder medienwissenschaftlicher Sicht. Ich kaufte mir Present Schock, das ich akuell lese, hätte aber gerne mindestens noch den Band zur GLS-Bank und das Buch über Kommunikationsguerilla gekauft. Der einzige Verlag, bei dem ich meine Mailadresse hinterließ. Will auch schon etwas heißen.
Nachmittags hörte ich mir zwei Lesungen an, etwas, das ich vermutlich nicht wieder tun werde. Eine Kinderbuchempfehlung für mich sprang dennoch dabei heraus: Anna Bromskis Buch Mein Bruder soll nicht Pepsi heißen. Das Buch spielt in der nahen Zukunft:
“Gestern habe ich meine Eltern in der Küche belauscht. Ich wollte wissen, weshalb Mama in letzter Zeit so traurig guckt.”
Hannahs Mutter ist noch einmal schwanger geworden. Das größte Problem dabei ist der Name des zukünftigen Kindes. Denn richtige Namen sind sehr teuer. Wer das Geld nicht hat, muss einen Namen von der Sponsorenliste nehmen, zB Volkswagen, Eurobank oder Pepsi.
Für Hannah und Aaron haben die Eltern der Erzählerin Hannah lange gespart. Nun versucht Hannah, mit Geld aus ihrer Spardose zu verhindern, dass der Bruder Pepsi heißen muss. Die Autorin wirkte sympathisch und das Buch erscheint mir sehr lesenswert. Die Verlagschefin aber nervte mit ihrem Geschwafel, ihrer ungeschickt getarnten Marketingstrategie und ihren sinnlosen Fragen.
Beim vorwärts-Verlag sprachen Autoren mit Politikern, als ich dazukam und hängenblieb gerade über das Buch “25 Wege in ein neues Land”. In diesem Band sammelte der Herausgeber Christoph Links unterschiedliche Biographien von Ostdeutschen, die nach der Wende vor der Orientierungslosigkeit standen und sich nicht nur privat, sondern auch beruflich vollkommen neu definieren mussten. Die Diskussion gab Einblicke in das Entstehen des Buches und die geschichtlichen Hintergründe.
Danach war ich ziemlich platt. Und froh, dass meine weiteren Verabredungen zeitgleich auf der Messe eintrafen. So stand ich eine ganze Weile mit Frauke und Julia auf dem Hof der Buchmesse und unterhielt mich hervorragend. Danke Euch zwei für das schöne Treffen!
Kurz vor der Heimreise hörten Julia und ich uns dann noch ein Gespräch zum Selfpublishing von Ebooks an. Eine offenbar wirklich gute Möglichkeit für noch unbekannte Autor_innen. Details sind aus diesem Vortrag aber nicht mehr hängen geblieben, es wurde einfach zu viel Input.
Last but not least will ich noch erwähnen, dass ich mich sehr über das Wiedersehen mit Stefanie gefreut habe, die mir auch den Titel für diesen Blogpost schenkte. Sie hat sich zwischen ihren zahlreichen Terminen mit Autorinnen gleich morgens ein wenig Zeit genommen. War mir eine große Freude!
Ein Fazit? Nachdem ich die Rückblicke anderer gelesen habe, behaupte ich kühn, dass die Buchmesse die Möglichkeit für ein sehr individuelles Messeerlebnis bietet. Meine Zusammenstellung, die oft auch zufällig zustande kam, entsprach meinen Interessen und war gleichzeitig vollkommen anders als das, was Bekannte und Freunde erlebt haben. Ein wiederholenswertes Erlebnis war die Buchmesse auf jeden Fall.
Lesenswerte Beiträge zur Frankfurter Buchmesse:
Podcast von der Frankfurter Buchmesse vom A und O
Handschriftlich umgesetzter Rückblick von Stefanie
zeilentiger
Ich finde es ja überhaupt nicht schlimm, dass zwischen Buchmesse und deinem Artikel über die Messe “schon” zweieinhalb Wochen liegen. Wenn alle Artikel gleichzeitig erscheinen, hat man nach dem dritten eh keine Lust mehr.
Dazu passt auch gut dein Fazit. Was du für dich selbst als Schlussfolgerung ziehst, entspricht ganz (meiner) Außenwahrnehmung deines Messeartikels: anders als so viele. Ja, jeder kann sein eigenes Messeerlebnis haben – dafür ist genügend geboten.
OrangePress klingt spannend und den Satz „USB-Sticks sind Waffen“ werde ich mir auch merken. 🙂 Ach ja, und danke sehr.
junebug
Bittesehr, ich danke ebenso. Und werde mit Sicherheit wieder vorbeischauen. Zudem, denke ich aktuell, werde ich mich wohl wirklich rezensierend durchs Orange Press-Programm lesen, dann kannst Du Dir hier die Rosinen heraussuchen. (Hoffentlich) 🙂