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Prokrastinieren mit Popsongs

Cheerleader – OMI

Hier ist ein Tag (kleiner graffiti-Schriftzug) auf einem Container in Barcelona zu sehen. Die Aufschrift bedeutet übersetzt "Rauch Marihuana"

Heute wieder Prokrastinieren mit Popsongs auf dem Blog! Das Lied, das ich dafür ausgesucht habe, eignet sich ziemlich gut für ein kleines Gender-Reading, sprich: Wir schauen uns einmal das Frauen- und Männerbild an. Das wird ein Spaß.

When I need motivation
my one solution is my queen cause she stays strong

Das Lied beginnt mit einem Bedürfnis des lyrischen Ichs – es handelt sich nicht um ein Grundbedürfnis, sondern mehr um benötigten Zuspruch durch Dritte – die so genannte “extrinsische Motivation”. Die “erste Lösung” für dieses Bedürfnis stellt eine mit “Königin” angesprochene Person dar. Auch das im Folgenden verwendete Personalpronomen “she” deutet auf eine weibliche Angesprochene hin:

She is always in my corner right there when I want her

Die Erwähnte, erfahren wir hier, hält sich scheinbar zu jeder Tages- und Nachtzeit in räumlicher Nähe zum lyrischen Ich auf. Dies gestaltet das Abrufen der benötigten Motivation (und voraussichtlich einigem anderen, diffus mit einem “Wollen” Bezeichneten) relativ einfach und bequem. Ob das Wort “corner“, die “Ecke” dabei wörtlich als Lokalität interpretiert werden muss oder ob es sich hierbei lediglich um das Stilmittel des Binnenreims handelt, bleibt zu klären.

All these other girls are tempting but I`m empty when you´re gone

Andere, zusammenfassend als „Mädchen“ bezeichnete Personen versuchen, sich dem lyrischen Ich zu nähern. So zumindest die Wahrnehmung der erzählenden Instanz. Dabei wird die Angesprochene mit dem Wort „other“ zum Kreis der „Mädchen“ gezählt, was einen gewissen Kontrast zu dem vorhergehenden „Queen“ darstellt. Das lyrische Ich versichert allerdings, es würde sich trotz der unzähligen Annäherungsversuche “leer fühlen“, sobald sich die Angesprochene räumlich entfernt. Die Zusammenstellung der Zeilen überrascht insofern, als in der vorhergehenden Zeile noch von „always there“ – immer verfügbar – gesprochen wurde.

Im folgenden lässt das lyrische Ich die mit „Mädchen“ bezeichneten Draufgängerinnen selbst zu Wort kommen:

and they say “do you need me? do you think I´m pretty? Do I make you feel like cheating?”
I´m like No, not really, ´cause

In einer etwas unbeholfenen Emphase des zuvor Gesagten behauptet das lyrische Ich geradezu umschwärmt zu sein. Es bedient sich zur Unterstreichung dieser Behauptung dem Stilmittel der direkten Rede. Dabei muss nach geltenden gesellschaftlichen Maßstäben wohl davon ausgegangen werden, dass die mit “Mädchen” Bezeichneten eher lockere Moralvorstellungen haben, denn sie fragen:
„Willst du nicht vielleicht deine Partnerin mit mir betrügen?“

Das lyrische Ich allerdings antwortet, erneut in direkter Rede, dass es daran kein Interesse habe. Die Begründung folgt im Refrain:

Oh I think that I found myself a cheerleader
she is always right there when I need her

Das lyrische Ich erläutert, was es an der Angesprochenen so schätzt. Es benutzt dafür die etwas eigenartig erscheinende Wendung „Ich habe eine Cheerleaderin für mich gefunden“. Ein kleiner kultureller Exkurs für die nicht-amerikanisierten Leser_innen meines Blogs:

Eine Cheerleaderin ist Mitglied einer Tänzerinnengruppe, die ein Sportlerteam bei Spielen anfeuert und gleichzeitig für die Pausenunterhaltung sorgt. Die Angesprochene mit einer Cheerleaderin gleichzusetzen ist also ähnlich, wie einen männlichen Partner mit einem Pausenclown zu vergleichen. Zwar hat im amerikanischen Kulturraum die Cheerleaderin grundsätzlich eine positive Bedeutung – sie gehört meist zu den hübschesten und beliebtesten Mädchen. Nicht selten ist sie mit einem der Spieler aus den angefeuerten Teams liiert – gleichzeitig, so das Klischee, ist sie zumeist eher intellektuell unauffällig und neigt zu Oberflächlichkeiten. Die Basiskompetenz der Cheerleaderin ist das Zujubeln, das Anfeuern und Unterstützen. Hat sich das lyrische Ich also eine Cheerleaderin gesucht, hat es eine Partnerin, deren Rolle in der Beziehung klar definiert ist.

Im Folgenden werden die weiteren positiven Attribute der Angesprochenen neben dem Cheerleaderin-Sein  erwähnt:

She walks like a model
she grants my wishes like a jeanny in a bottle

Sie läuft, wie wir hier erfahren, wie ein Fotomodell und erfüllt angeblich Wünsche wie ein Flaschengeist.

Nun, Hmmhmmm. So so, *krault sich den Damenbart*. Aber weiter:

´cause I´m the wizard of love
And I got the magic wand

Das geneigte Ohr erfährt nun etwas über die Selbstbeschreibung des lyrischen Ichs. Unterschwellig interpretiert haben wir ja bereits genug (ich für meinen Teil hatte bis hierhin mindestens narzisstische Züge und eine Wahrnehmungsstörung vermutet …). Nun behauptet es von sich, der „Zauberer der Liebe“ zu sein und verwendet die männliche Form „wizard“. Es ist also zu diesem Zeitpunkt von einem männlichen lyrischen Ich auszugehen. Dieses spricht aber nicht nur von sich als einem „Liebeszauberer“, es will darüber hinaus auch noch über „DEN magischen Zauberstab“ verfügen. Penismetapher, hallo! Ich überlasse die weiteren Assoziationen Eurer schmutzigen Phantasie, Ihr Luder! Weiter:

She gives me love and affection
Baby, did I mention
You´re the only girl for me, no, I don´t need a next one

Die Angesprochene, so heißt es, schenkt Liebe und Zuneigung – hier scheint eine kleine, der Form geschuldete Redundanz anzuklingen. Darüber hinaus wurde die empfangene Zuneigung in den vorausgehenden Zeilen klar bestimmt – es handelt sich hierbei um Befeuerung und Bewunderung durch eine mit einem Cheerleader gleichgesetzten Person. In der letztgenannten Zeile wird die unmittelbare Zukunft antizipiert: „Ich brauche kein nächstes Mädchen“. Das Aufgreifen des bereits am Anfang des Liedes verwendeten “need” erinnert daran, dass es in diesem Lied um die Frau als Befriedigung zentral empfundener Bedürfnisse geht. Zumindest die aktuelle Suche nach Bestätigung hat für das lyrische Ich hier aber ein vorläufiges Ende.

Interessant im Hinblick auf die Geschlechterrollen sind auch die folgenden Zeilen:

Mama loves you too, she thinks I made the right selection
Now all that´s left to do is just for me to pop the question

Explizit wird die Mutter des lyrischen Ichs als Instanz erwähnt, von der das Beziehungsglück des Sprechers abhängt. Wo in anderen Liedern Gott oder das Schicksal herhalten muss, ist nun das Einverständnis der Mutter des Sprechers als höheres Zeichen entscheidend. Sie mag die Angesprochene und begrüßt die „Wahl“ des Sohnes, was wiederum eine solche voraussetzt. Hier wird das „finden“ des Refrains erneut aufgegriffen. Dass aus der impliziten Ansprache in der dritten Person nun eine direkte Ansprache wird, lassen wir als übliche Popmusik-Schlamperei mal durchgehen.

Im letzten Satz vor dem Refrain deutet das lyrische Ich an, lediglich noch die „eine Frage“ stellen zu müssen. Behaftet im konservativsten aller Rollenbilder interpretieren wir nicht so sehr frei, dass es sich dabei um die Frage nach der Eheschließung handeln muss. Auch das lyrische Ich findet, das sei „alles, was jetzt noch zu tun sei“ – nach dem Segen der eigenen Mutter und dem aufopfernden Cheerleader-Dasein der Partnerin, die ihm alle Bedürfnisse erfüllt und stets verfügbar ist.

Kleines Fazit: Ein Text zum Abgewöhnen. Wäre nur das Lied nicht so nett … „Oh, I think that I found myself a cheerleader …“ *sing*

  1. markus

    Das hat mir jetzt auch eine kleine Ablenkung geschenkt. Beim hören dachte ich gleich das dieser Song wahrscheinlich jamaicanischen Ursprungs ist. Und hab dann mal ein wenig recherchiert.
    Interessant ist das der eigentliche Interpret (OMI) das Lied schon 2012 veröffentlicht hat und in keine Charts gekommen ist. Erst der Remix 2014 war dann ein weltweiter Erfolg (siehe Wikipedia).
    Interessant ist auch das original Video. Dort ist die Handlung auch eine ganz andere und gibt dem Text eine etwas andere Bedeutung:
    https://www.youtube.com/watch?v=I_NVUZNsh2E
    Da die original Veröffentlichung für Jameica gedacht war, kann es gut sein das der Text auch eine andere Bedeutung hat als wir uns das vorstellen.
    Das Original ist übrigens besser. Finde ich. 🙂

    • Kommentar des Beitrags-Autors

      Danke für die Originalversion des Liedes! Die ist musikalisch ansprechender, sehe ich auch so.

      Eine Interpretation, muss man zu diesem Blogpost dazu sagen, ist natürlich immer nur eine mögliche Auslegung eines Textes. Hier habe ich mich an den Frauen- und Männerstereotypen versucht, weil ich momentan durch Beschäftigung mit einschlägigen Zeitschriften (kommt auch noch als Blogpost) so richtig schön im Thema drin bin. 😀
      Sieht man den Text als in seinem eigenen Kulturkreis behaftet, kann man ihn anders interpretieren. Genauso ist es, wenn das Video in die Analyse mit hineingenommen wird – was ich hier explizit nicht gemacht habe.

      Zeigen wollte ich, wie der Text des Liedes in einem bestimmten Kontext, in den er vielleicht gar nicht gehört, wahrgenommen werden kann – und was daran eventuell problematisch ist.

  2. Naja, Liebeslyrik ist in den meisten Fällen recht verschroben, total übertrieben, voller Klischees.
    Könnte auch über meinen Liebsten schreiben:

    “Er ist mein König, mein Superstar, er ist immer für mich da, er unterstützt und motiviert mich, wann immer ich es brauche. ”

    Würde da jemand auf die Idee kommen, dass ich ihn in seiner Geschlechtsrolle diskriminiere?

    Die Selbstüberhöhung in den Text ist allerdings schon absurd.

    • Kommentar des Beitrags-Autors

      Ja, das ist richtig – Liebeslyrik und gerade Popkultur strotzt vor Stereotypen. Aber von Diskriminierung habe ich nicht gesprochen, oder? (Ich schau gleich nochmal nach, habe aus Faulheit jetzt erstmal geantwortet). Was mich erstaunt hat, war das Instrumentalisieren der Partnerin und die Anhäufung von Klischees, und zwar auf beiden Seiten der Geschlechterstereotypen. Das habe ich selten in der Dichte in einem Popsong wahrgenommen und fand es zumindest erwähnenswert. Immerhin wird diese Musik von den meisten Menschen mehr unbewusst denn bewusst rezipiert. Und das – hier werte ich entschieden – finde ich nicht gut. Ich finde, man kann das Lied mögen, trällern, lustig finden, und trotzdem mal über magische Zauberstäbe und Flaschengeister als Frauen- und Männerbilder nachdenken. 😀

  3. Das Lied habe ich tatsächlich zum ersten Mal in deinem Blog gehört und mich über deine Analyse gefreut. Mir gefällt das Lied, ziemlich gut. Ein anderes Cover von Walk Off The Earth gefällt mir aber etwas besser. Und wie immer bei dieser Band ist das Video spitze!

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