Erwachsensein, das ist viel zu oft was ist denn das schon wieder für eine Rechnung. Und viel zu wenig Magie.

Die Tagträume führen die nebligen Hügel hinauf in den Wald, aber immer ist irgendeine Steuererklärung bald abzugeben, immer irgendeine Glühbirne auszutauschen, immer eine schier endlose Liste mit der Überschrift „Man müsste wohl mal“.

Erwachsensein, das heißt Priorisieren, Abwägen, immer wieder vertrösten: Das machst du eben später.

Manchmal fühlt sich das genau richtig an.

Wenn du dein weinendes Kind in die Arme nimmst und zu spät zum Training fährst, oder einen Termin verschiebst, um zuzuhören.

Manchmal ist es Verrat.

An deinen Werten. An deinen Wünschen. An den nebligen Hügeln, die heute nicht in den Wald hinauf führen, zumindest nicht für dich.

Erwachsensein, das bedeutet von außen gesehen: Wissen, was man tut. 

Das bedeutet von innen gefühlt: Absolut keinen Plan haben. Ahnen, dass es den Plan gar nicht gibt. Und auch nicht das Buch, das dir erzählt, wie das richtig geht: Leben.

Erwachsensein ist Chaos im Kopf. Und Entscheidungen: Wie viel zusätzliches Chaos lasse ich noch hinein? Wie viel muss draußen bleiben? Wann bin ich ignorant gegenüber der Welt, wann bin ich selbstfürsorglich? Wann übervorsichtig, wann naiv? Und wann schlicht paranoid?

Erwachsensein bedeutet Halt geben, wo du selbst gerade keinen fühlst. In dem Wunsch, jemand möge für dich übernehmen. Möge dich leiten und führen, dir den 10-Schritte-Plan aufschreiben, aber dann wiederum: Erwachsensein heißt, hüte dich vor 10-Schritte-Plänen. Und meide alles, was nach Guru riecht. Erwachsensein ist auch ein kleines bisschen Weisheit.

Erwachsensein heißt trauern und sich sorgen. Ein lieber Mensch liegt im Krankenhaus, bei einem anderen wirken die Medikamente nicht. Traumtänze weichen Nachrichten per Messenger, Wolken vorbeiziehen siehst du nur, wenn du die Meditations-App mal wieder aufmachst. Schwere ist ein viel häufigeres Gefühl als Leichtigkeit. Einsamkeit ein häufigeres als Verbunden-Sein.

Und dann, koexistent, als wäre es kein irrer Widerspruch, bedeutet Erwachsensein: Wissen, was du hast. In diesem Moment, in diesem einen Moment. Schweben. Die Hügel hinauf. Zu Walzermusik.

Dankbarkeit und Rückschau. Auf die Magie, die wir bei allem was ist denn das für eine Rechnung so furchtbar oft übersehen. 

Damit, und mit den besten, wärmsten und herzlichsten Wünschen für Euren Jahresausklang und für den Wechsel von einem herausfordernden 2025 in ein vermutlich herausforderndes 2026:

Meine Momente nah an Magie. Danke, 2025. Ich hätte mir persönlich so vieles anders gewünscht und ich hätte es mir nicht anders gewünscht.

Ein Vortrag in Dresden, meine eigene Geschichte. Spoken Word Art. Ein kleines Publikum im intensiven Kontakt mit mir, mit meinem Erleben. Danach die Rückmeldung: „Das hat mich so berührt“.

Die jüdische Gemeinde Mannheims tanzt zu „Hava Nagila“, ich, an der Hand von fremden Menschen, lachend, mich drehend, immer im wilden Kreis um die Mitte der Tanzfläche.

Im dunklen Hörsaal in Mainz erscheinen Kerzen, der gesamte Cast des Musicals steht um das Publikum herum, während vorne auf der Bühne gesungen wird. Als die Musik ins crescendo geht, fällt im hinteren Teil der Bühne ein Vorhang, zu sehen: Das Orchester.

Der Loreley-Felsen am Rhein bei St. Goar, auf der mehrtägigen Radtour wiedergesehen, wiedererkannt. Vor ihm innegehalten, zukünftiges und vergangenes Erleben in einem einzigen Moment gespürt.

Die Bucht von Roses, morgens knapp nach Sonnenaufgang. Auf dem SUP alleine, das einzige Geräusch das Eintauchen des Paddels, unter mir das Mittelmeer, in mir: Ruhe.

Der Wunsch beim Schnorcheln, ich möge für meine Kinder einen Oktopus entdecken. Meine im ganzen Körper gespürte Freude, als das eintrifft. Unser gemeinsames Bewundern und Bestaunen.

Lagerfeuer und selbst geflochtene Blumenkränze bei unserem Sommerfest. Und eine schier endlose Runde Tischtennis, bis wir den Ball nicht mehr sehen können.

Das Konzert meines Bruders und seine Stimme, als er „With or without you“ anstimmt.

Der 18. Geburtstag meiner mittleren Tochter, sie, umgeben von engen Freund:innen und all der Zuneigung für sie.

Der Flug nach London und eine Libelle auf dem Flugplatz, die sich verwundert umsieht.

Die Kapelle von Christ Church in Oxford, voll körperlich fühlbarer Geschichte und Energie, ich, in Tränen ohne jeden vernünftigen Grund.

Ein steiler Aufstieg durch den Hügel direkt über der Bucht bei Plurien, eine Plattform wie geschaffen für eine Meditation. Rückkehr mit Salz in den Haaren und tiefer innerer Klarheit.

Meine Töchter vor Mont St. Michel, lachend, scherzend, im Moment. Festgehalten durch die Kamera.

Wetterleuchten, immer knapp vor uns, mit immer schärfer werdenden Blitzen in der stockfinsteren Nacht, wir scheinbar jede Minute hineinfahrend und am Ende doch: Meilenweit weg.

Meine Kolleginnen und ich, auf ein Zeichen des Universums hoffend, den Zustand der Welt anklagend. Der vollendete Regenbogen, der sich plötzlich über den Himmel neben unserem Büro spannte.

Ein Bachata, erst unbeholfen, mit fremdem Tanzpartner, sich auf einander einstellend, dann: Verlust von Raum-Zeit, nur Rhythmus und Körper.

Ein perfekter Kuss auf einem Weihnachtsmarkt.

Meine große Tochter, die nach ihrem ersten bezahlten Tanz-Engagement in Wiesbaden zum Verbeugen nach vorne tritt. Mein Applaus, bis mir die Hände wehtun und das Herz. Aber ach, das ist es wert. So wert.

Ihr Guten, passt auf Euch auf, achtet auf einander, ruft Menschen an, die Euch lieben, wenn Ihr Euch gerade nicht liebt. Denkt daran, dass die Feiertage schwierig sein können. Und findet die Magie in all dem, was unser Erwachsensein so ausmacht.

Bis 2026!

Veröffentlicht von junebug

Erdling, dem Erscheinungsbild nach menschlich. Unangepasst und vielseitig. No borders, no nations.

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