Manchmal ist es wichtig, sich neu auszurichten. Sich ehrlich zu fragen, ob das Leben gerade in die gewünschte Richtung läuft. Doch wie stelle ich fest, was richtig und falsch ist? Muss sich der „richtige Weg“ gut anfühlen? Ein paar persönliche Einblicke in meine Vergangenheit und Gegenwart.
Wann ich mir das erste Mal über den Rest meines Lebens Gedanken gemacht habe, kann ich nicht sagen. Es gab auf dem Gymnasium Momente, in denen ich an das vorzeitige Abgehen dachte. Nach dem Abitur, als ich ein halbes Jahr orientierungslos in der Gegend herumhing, fragte ich mich intensiver, was ich mit mir anfangen sollte. Oder im Grundstudium, in dem ich mehrfach das Nebenfach wechselte. Viele meiner Lebensentscheidungen haben sich dabei immer irgendwie ergeben. Bis heute.
Mein damaliger Freund und ich gründeten noch in den letzten Wehen meines Studiums eine Familie. Von da an waren meine Entscheidungen gebunden. Für eine größer werdende Familie da zu sein gab Struktur und Orientierung. Der Tag füllte sich ohne mein Zutun, und auch wenn die Zeiten maximal anstrengend waren, so war das Kinder versorgen, Haushalten und dem arbeitenden Gatten den Rücken stärken sinnstiftend und auf eine Weise erfüllend. Bis das allein es eben nicht mehr war.
Bis die Fragen wiederkamen, nach der Zukunft, nach dem eigenen Weg, nach der Identität und dem, was ich mit dem Rest meines Lebens anfangen soll. Als sie zurückkehrten, hatte ich mich bereits eher durch Zufall für ein Stipendium zur Promotion beworben. Als der Bescheid kam, dass ich für zwei Jahre ein Vollstipendium erhalten solle, war ich schockiert. Und begann, intensiv an der Dissertation zu arbeiten.
Für mich bedeutete der Abschluss der Promotion 2014 das vorläufige Ende eines akademischen Wegs, weil ich andere Ideen hatte. Aber ich hatte nicht die Geduld, diese Ideen reifen zu lassen. Ich nahm die erste Arbeit an, die mir passend erschien – und scheiterte. Nicht an dem, was man von mir erwartete. Meine Vorgesetzten schickten mir ein so positives Arbeitszeugnis, dass es mir die Tränen in die Augen trieb, als ich es las. Nein, ich scheiterte an mir, weil ich mir ein paar wichtige Fragen nicht beantwortet hatte. Und so schlecht gewappnet war für das Berufsleben mit seinen ganz neuen, ganz anderen Hochs und Tiefs. Der Zusammenbruch kam und hinterließ mich vollkommen schutzlos einer neuen Orientierungslosigkeit ausgesetzt, die ich als bedrohlich, als existenziell empfand. Ich brauchte Zeit. Zeit für ein ehrliches Gespräch mit mir selbst.
Warum erzähle ich das?
Bisher, so wurde mir im Rückblick klar, habe ich nur selten wirklich aktiv gestaltet. Ich war nie eine große Planerin, häufig passierte das Leben einfach, und ich richtete mich entsprechend ein, justierte ein paar Schrauben, verfolgte ein paar Ideen. Auf die drängenden Fragen gab ich mir selbst kurzfristige Antworten, die mir passend schienen und vor allem: Die sich gut anfühlten. Aber an diesem Punkt vor einigen Monaten wollte ich nicht in die nächste Entscheidung hineinstolpern. Ich wollte selbst ganz bewusst gehen.
Neben einigen kleinen Projekten und Aufträgen rief ich im Juli karmajob ins Leben. Es war die Antwort auf viele meiner Fragen nach mir selbst, und nach meinem Weg in den nächsten Lebensabschnitt. Ich dachte, wenn ich auf dem richtigen Weg bin, dann werde ich das merken. Es wird sich gut und richtig anfühlen, denn plötzlich werden sich alle diese Türen öffnen, die ich jetzt noch nicht sehen kann. Ich dachte an die Management-Literatur, die mein Vater früher las, und an die Ratgeber, die mir mein Bruder empfohlen hat:
„Geh direkt auf Dein Ziel zu, verschwende keine Zeit!“ oder „Auf dem Weg zu seinem Ziel sein ist ein gutes Gefühl!“ Vielleicht auch an einen Satz aus dem „Café am Rande der Welt“: „Wer den Sinn seines Lebens entdeckt hat und ihn jeden Tag verwirklicht, hat keine Angst mehr vor dem Tod.“
Nach dem letzten Jahr und sehr intensiven Monaten der Planung traue ich mich, Folgendes öffentlich mitzuteilen:
Nichts davon ist wahr.
Ich glaube an den Weg, den ich gehe und im letzten Jahr bereits gegangen bin. Aber die meisten dieser berühmten Türen öffnen sich nicht. Sie wissen bisher nicht einmal, dass es mich gibt. Sie bleiben gleichgültig geschlossen, und dem Universum sind meine Versuche, beherzt anzuklopfen, egal. Es ist hart, auf dem richtigen Weg zu sein. Ich bestehe aus den unterschiedlichsten Zweifeln: An mir, an der Welt, an den Menschen. Ich hasse es, nicht im Ansatz zu wissen, wie die nächsten Monate verlaufen und wo ich sein werde. Meine Pläne machen mir Angst, und wenn ich an die Möglichkeiten denke, die sich mir wahrscheinlich bieten werden, möchte ich mich mit einem heißen Tee unter einer Decke verkriechen. Ständig bin ich gezwungen, meine eigene Komfortzone zu verlassen, und ich finde es furchtbar. Dabei bin ich erst am Anfang. In einigen Wochen werde ich darum bitten, bei einem Selbständigen-Netzwerktreffen über mein Projekt reden zu können. Vor einer Gruppe von Menschen, die seit Jahren wissen, wie sie sich am besten verkaufen. Bei dieser Aussicht wird mir kotzübel leicht schlecht. Ich werde unterrichten und coachen, ich werde reisen und schreiben und mich ständig in neue Situationen begeben, die ich unmöglich kontrollieren kann.
Wie konnte ich nur auf so eine Idee kommen?
Nein, es fühlt sich nicht gut an, auf dem richtigen Weg zu sein. Zumindest nicht jetzt. Es fühlt sich sogar echt scheiße an. Diese ganzen Ratgeber erzählen bullshit. Was sie eigentlich meinen, ist dieses:
Wenn Du heute auf dem richtigen Weg bist, wird sich das in einer unbestimmten Zukunft hervorragend anfühlen. Es wird Dir so vorkommen, als hätten sich alle Türen geöffnet, alle Menschen auf Dich gewartet. Du wirst alles Negative vergessen, und in Deiner verklärten Erinnerung wird alles wunderschön, richtig und wahr erscheinen.
Aber heute? Im „jetzt“? Schätzchen, es ist hart. Komm klar.
Gestern überfluteten mich wieder Zweifel. Ich dachte, wenn ich mich streckenweise so mies fühle, dann kann das alles nicht richtig sein, was ich da plane und mache. Ich sehne mich nach bequemen Polstern, nach einem weichem Fall in ein angenehm-wohliges Gefühl. Nach dem erschöpften, aber zufriedenen Ausruhen nach der Anstrengung. Ich will das Feuer in der Berghütte und die heiße Schokolade und die Wolldecke.
Aber zuerst kommt die Kälte, das Eis und der Schnee. Die Anstrengung und das miese Gefühl, sich ständig neu herausfordern zu müssen. Die eigenen Grenzen zu sehen, und sie dann zu überschreiten. Eine nach der anderen.
Dass es sich nicht gut anfühlt, heißt nicht, dass der Weg falsch ist. Es bedeutet nur, dass wir das Leben im Rückblick verstehen. Unsere Entscheidungen ergeben erst Sinn, wenn wir das Gesamtbild betrachten können. Bis dahin darf sich der Weg scheiße anfühlen. Vielleicht muss er das sogar streckenweise.
(Dieser Beitrag ist eine leicht gekürzte Version meines Artikels auf dem karmajob-Blog)
Katharina (Mama hat jetzt keine Zeit)
Ja, es macht eine Scheissangst und auch wenn man es nicht denkt: Es geht allen so!
Eventuell könnte Dir “Big Magic” von Elizabeth Gilbert weiter helfen?
junebug
Ich bin immer wieder sehr dankbar, wenn ich das lese. Es hilft so unsagbar, wenn Du weißt, dass Dein eigener Kampf so alleine gar nicht ist. 🙂 Danke für die Empfehlung, ich gucke auf jeden Fall.
Ute
du schreibst wunderbar! vielleicht wäre das was für dich? (allerdings war gestern der letzte Einsendeschluss, also husch, husch!! :-)) http://mymonk.de/mymonk-sucht-dich/
junebug
Du wirst lachen, dort habe ich mich vor etwa einer Woche beworben. 🙂 Ich fand auch, das könnte doch gut passen! Jetzt mal sehen, ob der Tim das auch so sieht. 😉
Ute
geilo!!