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Alltag, In eigener Sache

Nach Hause fahren

Hier ist der Turm einer Kirche in Wismar zu sehen, vor einem sehr bewölkten Himmel

Wegen eines ewig langen Staus fahre ich eine andere Route als gewöhnlich. Der alternative Weg – die Landstraße – ist wegen der Verkehrssituation auf der parallel führenden Autobahn ebenfalls ziemlich überlastet. Streckenweise geht es nur sehr langsam voran. Ich fahre so vor mich hin und überlege, ob ich es wohl einigermaßen pünktlich nach Hause schaffen werde. 

Die Straße führt an einer gekiesten Kehre vorbei. Irgend eine Bewegung lässt mich links herüber schauen. Ich erkenne ein schräg geparktes, dunkles Auto mit geöffneten Türen. Vor einem kleinen Erdwall, der die Kehre von der Landstraße trennt, kniet eine junge Frau auf dem Schotter, das Gesicht rot und merkwürdig verzerrt. Hinter ihr steht eine weitere junge Frau, vielleicht Mitte 20. Sie legt eine Hand auf die Schulter der Knienden. Ganz knapp hinter ihnen ein ebenso junger Mann. Nicht unbeteiligt, aber etwas abseits.

Ich fahre in mittlerem Tempo vorbei und versuche, die Situation zu erfassen. Denke an die Uhrzeit und den Tag: Freitag, halb 5. Ich bin ziemlich sicher, dass sich die junge, am Boden kniende Frau gerade übergeben hat. Vielleicht, denke ich, kommen die drei von einer Feier. Die jungen Frauen tragen Röcke, der Mann ein Sakko. Eine Hochzeit! Ich lächle ein wenig, denke an meine eigenen, etwas wilderen Zeiten. Und finde es keineswegs verwerflich, um diese Zeit vielleicht schon etwas zu viel getrunken zu haben.

Doch irgendetwas stört mich an diesem vorüberziehenden Bild. Selbst langsames Fahren ließ mich die drei kaum zwei Sekunden lang  betrachten. Trotzdem sehe ich sie weiter vor mir. An der nächsten Ampel frage ich mich, warum die Körperhaltung der beiden Stehenden irgendwie nicht passen wollte. In der Berührung der jungen Frau lag zu viel Besorgnis. Der Mann ließ die Schultern hängen, aber ohne Ungeduld, es möge mit der Fahrt nun endlich weitergehen. Alle drei wirkten gefangen und behaftet in diesem einen Moment. Als hätte die Welt in dieser Kehre für einen kurzen Augenblick damit aufgehört, sich zu drehen.

Ich fahre wieder an, und erst bei der nächsten Kreuzung fällt eine Beobachtung wie eine Art Puzzleteil in das Bild. Ich bekomme eine Gänsehaut, trotz der wundervoll warmen Sonne.

Sie trugen alle schwarz.

  1. Aus zwei Sekunden eine Geschichte gemacht und darin das Leben untergebracht. Sehr schön.

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