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Internet und Gesellschaft, Kinder

Der evangelischen Landeskirche. Zur Kenntnisnahme

Liebe evangelische Landeskirche,

letzte Woche bin ich aus der Kirche ausgetreten.
Ich denke, Sie haben ein Recht darauf, zu erfahren, warum.

Ich werde versuchen, diesen Brief an Sie mit aller christlichen Nächstenliebe zu formulieren, die mir zur Verfügung steht. Da ich von einigen Ihrer obersten Repräsentanten aber über die Maßen enttäuscht bin, bitte ich schon jetzt um Verzeihung, sollte das nicht immer gelingen.

Unsere Landesregierung erarbeitete einen neuen Bildungsplan für die Schulen Baden-Württembergs. Darunter viele wichtige Punkte, deren Diskussion überfällig war. Als eine der Leitlinien spricht sich der Bildungsplan für das stärkere Thematisieren von Diskriminierung und das Lehren von Akzeptanz aus:

„Der Entwurf sieht vor, dass zukünftig in den Schulen auch die Akzeptanz für sexuelle Vielfalt gelehrt werden soll – das heißt Kinder und Jugendliche sollen lernen, mit allen sexuellen Identitäten selbstverständlich umzugehen.“

Ein begrüßenswerter Vorschlag, bedenkt man, dass die Lieblingsschimpfwörter auf Schulhöfen auch heute noch „schwul“ und „Schwuchtel“ sind. Die Umsetzung dieses Lehrplans sowohl im Ethik-, als auch im Unterricht mit gesellschaftlichen Schwerpunkten sollte von LehrerInnen ernst genommen werden. Der Bildungsplan setzt die Diskriminierung von Homosexuellen absolut zu Recht mit der Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen oder Migrationshintergrund gleich. Dennoch veröffentlichten Sie die bis heute auf Ihrer Website nachzulesende Stellungnahme:

Die Kirchen treten ein für in den „Leitprinzipen“ genannte Themen wie Prävention vor Gewalt und Diskriminierung, Berufsorientierung, Nachhaltigkeit oder Gesundheit. Zugleich machen sie deutlich, dass „Leitprinzipien“ für einen Bildungsplan auf der Grundlage des Menschenbildes zu entwickeln sind, das der Landesverfassung und den Schulgesetzen zugrunde liegt: Jeder Form der Funktionalisierung, Instrumentalisierung, Ideologisierung und Indoktrination gilt es zu wehren. Dies gilt nicht zuletzt im sensiblen Bereich der sexuellen Identität und damit verbundener persönlicher und familiärer Lebensentwürfe.

Vermutlich können Sie mit dem Begriff „barrierefreie Sprache“ etwas anfangen. Ich formuliere diesen Abschnitt mal barrierefrei:

Die Kirchen finden gut, wenn alle Menschen gleich behandelt werden. Egal, was sie arbeiten oder woher sie kommen. Die Kirchen finden Gewalt nicht gut. Sie wollen auch nicht, dass jemand etwas Böses zu anderen Menschen sagt. Der Bildungsplan will das auch. Aber er geht nicht von den richtigen Vorstellungen aus. Die richtigen Vorstellungen von den Menschen sind in der Verfassung des Landes Baden-Württembergs nachzulesen. In der Verfassung steht: Wir dürfen niemanden zwingen, das zu denken, was wir denken. Wir dürfen niemanden zu einer Meinung überreden. Wenn man im Schulunterricht über Homosexualität spricht, dann überredet man die Kinder dazu, schwul und lesbisch zu werden. Das denken die Kirchen. Und das finden sie schlecht.

In dieser Übersetzung werden gleich mehrere Punkte augenfällig. Ich will sie im Folgenden etwas näher betrachten:

Zunächst der Verweis auf die Verfassung des Landes.
Der aktuelle Bildungsplan verstößt in keiner Weise gegen das in der Verfassung verankerte Menschenbild. Und selbst wenn er es täte, wäre es vermutlich schlicht an der Zeit, die Gesetzgebung dahingehend zu ändern. Denn die Gesetzgebung ist für den Menschen da und nicht umgekehrt.

Dann das absichtliche Aussparen des christlichen Glaubens, obwohl es das einzige Argument ist, über das Sie tatsächlich verfügen.
Die Verfassung stellt keineswegs Gottes Wort dar. Da sich die offizielle Stellungnahme der Kirchen aber in diesem Fall aus verschiedenen Gründen nicht auf die Bibel berufen kann, muss der von Ihnen zitierte Passus, in dem die Wörter „Ideologisierung“ und „Indoktrination“ verwendet werden, herhalten. Mit diesem Passus ist es streng genommen nicht mehr möglich, heute noch Religionsunterricht in der Form zu geben, wie es an unseren Schulen üblich ist. Gegen den Religionsunterricht wenden Sie sich aber nicht. Wie merkwürdig.

Weiterhin das explizite Aussparen der Stelle, auf die sich die gesamte Argumentation in Wahrheit stützt.
Sie berufen sich in Ihrer ebenso sinnfreien wie hochgradig diskriminierenden Argumentation vermutlich mit einiger Absicht nicht auf die immer wieder zitierte Stelle der Bibel, in der es heißt, ein Mann solle nicht bei einem Manne liegen. Ein Verweis auf Gottes Wort wäre in Bezug auf einen Lehrplan, der sich an Werten wie der Freiheit der Religionsausübung orientiert, ja auch fehl am Platze. Gleichzeitig denke ich, dass genau diese Stelle die Ursache für die ausgeprägte Homophobie selbst der modernen Kirchen sein muss. Denn worauf könnte sie sonst gründen? Dass Sie nicht ehrlich genug sind, diesen Fakt zu thematisieren und sich damit dem nötigen Diskurs zur Bibelauslegung zu stellen, ist für eine meinungsbildende und mächtige Institution wie die der Kirche ein Armutszeugnis. Euphemistisch gesagt.

Zuletzt aber der wohl wichtigste Punkt: Der dem Text inhärente Widerspruch.
Hat denn niemand von Ihren Textarbeitern festgestellt, dass sich die Argumentation in dieser Passage selbst aushebelt? Lesen Sie noch einmal nach. Da steht so viel wie: Diskriminierung ist schlecht. Außer im Falle unserer homosexuellen Mitmenschen.

Unsere Kinder sollen also lernen, dass alle Menschen gleich sind und gleiche Rechte haben. Sowohl vor dem Staat als auch vor Gott. Außer, sie sind schwul, lesbisch, transgender, queer, transsexuell, intersexuell oder haben eine andere von der „Norm“ (TM) abweichende sexuelle Identität/ abweichendes Geschlecht. Dann sind sie eine Gefährdung für unsere Kinder, denn sie sind nicht einfach nur so, nein, sie verfolgen die Indoktrination unserer unschuldigen, selbstverständlich heterosexuell geborenen Kinder und werden für die Auslöschung unserer Gesellschaft verantwortlich sein. Denn Homosexuelle können ja keine Familie gründen, nicht wahr?

Wird Ihnen in dieser ironisch überspitzten Darstellung deutlich, wofür genau Sie eingetreten sind, indem Sie Druck auf den Bildungsplan ausübten und indirekt die Petition #idpet unterstützten? Nein? Immer noch nicht? Was ist denn das oberste, alles andere weit hinter sich lassende, Gebot Gottes, das er uns so dringend eintrichtern wollte, dass er dafür seinen eigenen Sohn geschickt hat? Und gegen welches Gebot verstoßen Sie mit Ihrer offiziellen Haltung zur „Ideologie des Regenbogens“, wie es so diffamierend bezeichnet wird?

Ich hoffe, ich konnte Ihnen meine Enttäuschung und mein Entsetzen über Ihre reaktionären Ansichten, die Sie sich nicht zu schade waren, massiv in die Öffentlichkeit zu tragen, näher bringen. Die evangelische Landeskirche hat eine Gelegenheit, sich offen, tolerant und modern zu zeigen, nicht einfach nur verpasst. Sie ist mit einem Vorschlaghammer auf die Gelegenheit losgegangen und hat nichts übrig gelassen. Begrenzen Sie den Schaden. Nehmen Sie Ihre Stellungnahme offiziell zurück. Begründen Sie, warum. Zeigen Sie Rückgrat, Sie Haufen rückschrittiger, homophober, angeblich doch so gottesfürchtiger Christen. An meinem Austritt wird es nichts ändern. Vermutlich aber an denen, die noch folgen werden. Denn ich habe eine schockierende Nachricht für Sie: Viele Ihrer Kirchenmitglieder sind homosexuell.

Ich allerdings nicht. Ich bin lediglich angewidert.

Mit all der mir noch möglichen Hochachtung grüßt Sie

junaimnetz

  1. Etwas schüchtern erlaube ich mir darauf hinzuweisen, dass verordneter Triebverzicht, rigide Normierung sexueller Ausrichtung, mit Scham behaftete Lustfeindlichkeit bis hin zu (mutmasslich) sanktioniertem Machtmissbrauch miteinander verflochten sein könnten… Daraus könnte folgen:
    http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2014-01/joseph-ratzinger-priester-missbrauch

    Die Kirche ist schon himmelweit von vielen Menschen entfernt.

    • gr

      … moment mal, dieses pauschale Ineinander von evangelisch und katholisch an dieser Stelle ist nicht fair!

      • Kommentar des Beitrags-Autors

        Ich kann Deinen Einwand gut nachvollziehen, und hätte Dir vor der #idpet sofort Recht gegeben. Leider haben sich die obersten Repräsentanten der evangelischen Landeskirche mit dieser unsäglichen gemeinsamen Stellungnahme genau das selbst eingebrockt: Jetzt werden sie in einen Topf geschmissen, in dem sie eigentlich nicht drin sein wollen. Unter anderen Umständen hätte ich Mitleid. Unter den gegebenen Umständen kann ich mir ein “Na? Seht Ihr, was Ihr tut?” aber leider nicht verkneifen. 🙂
        Fairness ist momentan etwas, das die Landeskirchen von den Menschen, die sich durch sie diskriminiert fühlen, und den Menschen, die sich mit den Diskriminierten solidarisieren, einfach nicht erwarten können. Ich war in meiner Stellungnahme so fair wie es mir möglich war. Aber die unterirdische, unlogische, diffamierende Vorlage stammt von den Kirchen selbst. Nun werden sie auch gemeinsam gemessen. So ist das nun mal.
        Das soll keine Kritik an Deiner Kritik sein 🙂 Danke für Deinen Kommentar!

      • cuirhomme

        Ich stimme zu – gr – der Verweis auf klerikale Kreise ist möglicherweise unfair. Mich hat bloss sehr überrascht, dass die evangelische Kirche (heute noch) so Stellung bezieht und mich dünkt, das nährt sich aus dem Geiste, den auch katholische Amt- und Würdenträger atmen. Allerdings ist das überhaupt nicht differenziert.

  2. Gut geschrieben, aber wahrscheinlich wird es von der merkbefreiten Kirche eh nicht wahrgenommen. Es ist schon traurig wie sich die Kirche als Deutungshoheit für moralische Fragen sieht und versucht an einem längst überholten Weltbild festzuhalten.
    Aus diesem Grunde haben meine Kinder die Freiheit, in der Schule statt Religion in den Ethik-Unterricht zu gehen und dort vieles über die Weltanschauungen und Religionen zu lernen.

  3. Liebe Juna-im-Netz,
    Danke für diesen Brief. Ich bin Gemeindepfarrerin in der schwäbischen Provinz. Und auch wenn die Kirchenleitung Dich überhören sollte, ich habe Dich gehört. Ich und andere haben ebenfalls gegen die unsäglichen Nicht-Äußerungen der Kirchenleitungen protestiert. Und ich werde weiter versuchen, Rückgrat zu zeigen – so dass die Kirche ein Ort wird, an dem Menschen sein dürfen, was sie sind. So dringend braucht unsere Welt diese Orte.
    Dir alles Liebe. Behüt Dich das große Um-uns-Herum.

    • Kommentar des Beitrags-Autors

      Danke vielmals für den Kommentar! Diese Reaktion hat mich sehr berührt. Es ist wichtig, zu wissen, dass genügend Menschen auch innerhalb der Institution sich engagieren. Daran habe ich zwar nie gezweifelt – aber dass diese Stimmen (noch) nicht durchkommen, das gibt mir weiterhin zu denken. Ich hoffe, dass sich das ändert.

      Danke für Dein, für Euer Rückgrat!!

  4. Jutta Käthler

    Sehr guter Brief. Absolut nachvollziehbar. Ich selbst stand auch schon mehrmals an diesem Punkt. Austreten oder nicht? Habe mich jedes Mal dagegen entschieden. Die Institution Kirche ist ein Monster. Die Menschen auf Gemeindeebene sind es meistens nicht. Im Gegenteil. Ob im Kindergarten oder bei Todesfällen. Zum Glück habe ich bis jetzt nur positive Erfahrungen gemacht. Liebe Juna, ich wünsche Dir, dass in entscheidenden Situationen Deines Lebens immer jemand da ist, der das richtige Wort oder die passende Geste für Dich hat. Gott sei Dank, geht das auch ohne Amt und Taufschein.

    • Kommentar des Beitrags-Autors

      Vielen Dank Dir! Ja, das sehe ich ganz ähnlich – und habe es auch vielfach selbst so erlebt, weshalb ich (ich glaube, das steht in den Kommentaren der Kurzversion) der Kirche als solche immer sehr positiv gegenüberstand. Man muss nicht alles gutheißen oder verstehen, was Institutionen tun. Sicherlich konnte ich mich nicht mit jeder Aktion der evangelischen Kirche voll identifizieren. Aber sie sind eben nicht nur Institution, sie sind auch Kultur, Glaubensgemeinschaft, Menschen. Mit dieser Stellungnahme und dem weiteren, ja, kann man eigentlich von Krisenmanagement sprechen? – Vorgehen wurde für mich eine Grenze überschritten. Das wollte ich – so polemisch meine Stellungnahme im letzten Absatz wird – schlicht deutlich machen. Dass dieses Vorgehen auch vielen Menschen innerhalb der Institution aufstößt, ist für mich eine ganz, ganz wichtige Sache. Ich hoffe wirklich, dass sich nun noch etwas bewegt. 🙂 Nochmals Danke!

  5. Magdalena

    Liebe Juna im Netz,
    es ist die erste Reaktion einer “Ausgetretenen”, die ich erhalten habe und die ich auch sehr gut nachvollziehen kann. Ich bin auch eine Gemeindepfarrerin im Schwäbischen und frage mich immer wieder, warum Menschen austreten, was sind ihre konkreten Gründe, wo wurden sie verletzt.
    Danke für deine Erklärung. Danke für diesen Brief.
    Auch ich bin entsetzt, auch ich bin fassungslos.
    Auch ich möchte etwas bewegen, verändern, meine Stimme erheben, Rückrat zeigen und für Menschen da sein, die ausgegrenzt, übersehen und überhört werden. Als Pfarrerin, als Christin, als Mensch.
    Ich wünsche dir und allen, die dir aus diesen Gründen folgen werden, dass du/ihr innnerhalb – neben – außerhalb der Kirche Menschen findest, die Verständnis, Toleranz und Offenheit JEDEM von uns entgegen bringen. Bleib behütet.

  6. Pit Brett

    He du da!

    Danke für den Text. Da steht ziemlich viel Wahres drin, auch wenn ich manche Überspitzungen zu überspitzt finde. Und danke für den zweiten Link.

    Deinen Kirchenaustritt damit zu begründen finde ich allerdings, tschulligung, kindisch. “Die da oben reden voll doofes Zeug raus und deshalb find ich jetzt alles doof und setz mich beleidigt in die Ecke.” … wäre auch sprachliche Barrierefreiheit so bisschen nach deinem stilistischen Vorbild.

    Aber, wie schon weiter oben treffend kommentiert: “Die Institution Kirche ist ein Monster. Die Menschen auf Gemeindeebene sind es meistens nicht.” Oder anders gesagt, die Kirche besteht aus Menschen wie mir und – ehemals – dir. Wenn es darum geht, etwas KONSTRUKTIV zu kritisieren, dann sind Menschen wie du und ich gefragt.

    Wenn das für dich keinen Sinn ergibt, habe ich den Eindruck, dass dein Austritt der unvermeidbare Austritt einer weiteren Karteileiche war, der die Kirche schon irgendwie am Poppo vorbeigeht und der halt passiert, wenn wieder mal in irgend einer, dieses Mal protestantischen, Form dumm rumgetebartzt wird. Der spezielle Grund wäre dann ja irgendwie egal. Leider finde ich, deine Empörung verliert dadurch etwas an Glaubwürdigkeit. Das heißt nicht, dass die Argumentation schlechter oder das Thema weniger relevant wird.

    Ein ziemlich hochachtungsvoller Gruß von einem aus dem rückschrittigen, homophoben Haufen ;).

    • Kommentar des Beitrags-Autors

      Hallo, Pit Brett (oder Brett Pit? ;))
      Ich freue mich, so schnell Reaktionen von Kirchenmenschen auf meine Stellungnahme zu bekommen. Das ist etwas, mit dem ich tatsächlich nicht gerechnet habe, und es ehrt mich – auch wenn vielleicht eine offene Provokation wie oben dazu nötig war, dass Du kommentiert hast. Jetzt kommt vielleicht etwas sehr Überraschendes: Ich stimme Dir zu. Die vermutlich beste Reaktion wäre gewesen, als einer der Menschen, die das Vorgehen unmöglich finden, innerhalb der Institution ordentlich Krach zu schlagen. Sich zu engagieren, Gegenstimmen zu sammeln etc. Im “Kleinen” tue ich das auch. Nur stehe ich jetzt “außen”. (In meinem persönlichen Glauben übrigens lediglich institutionell und nicht vor Gott. Gott ist nicht kleinlich) War der Weg, auszutreten und darüber zu bloggen bzw. im Alltag darüber zu reden, der einfachere als sich innerhalb der Kirche zu engagieren? Ja, das war er. Bin ich ein trotziges Kind, das sich in eine Ecke setzt und nun nicht mehr mitspielen möchte? Nein, ich denke nicht. Denn der allereinfachste Weg in dieser, nun ja, für mich “Krise”, wäre es gewesen, einfach so zu tun, als hätte ich nichts mitbekommen. Nicht aufs Standesamt fahren, nicht austreten, nicht bloggen, sondern Füße still halten und abwarten, bis es vorbei ist und sich die Gesellschaft ein neues Thema sucht, das sie kontrovers diskutieren kann. Das aber konnte ich nicht. Manche Dinge im Leben verändern Einstellungen. Sie verändern Verhalten. Eine Kirche, die nur behauptet, sie sei tolerant – um sich dann bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit so zu präsentieren wie wir es jetzt in Baden-Württemberg sehen – ist nicht meine Kirche. Unabhängig, leider, von den vielen großartigen Menschen, die ich bereits kennen lernen durfte und hoffentlich noch kennen lernen werde. Mit On-Off-Beziehungen habe ich kein Problem. Sollte sich das in den kommenden Monaten/Jahren ändern, worauf ich sehr hoffe, fahre ich erneut zum hiesigen Standesamt.
      Ich kann Dir natürlich hier nicht vermitteln, dass Du mit Deinem letzten Absatz falsch liegst – das müsstest Du mir jetzt einfach glauben. Ich habe bisher nie mit dem Gedanken gespielt, auszutreten. Und ich habe gehofft, dass das als ein persönlicher, keineswegs einfacher, Schritt wahrgenommen würde. Nun denn, wie die Nachricht bei Dir ankommt, entscheide nicht ich, sondern Du.
      Danke für das herrliche “rumgetebartzt”, das merke ich mir! Und vielen Dank für Deinen kritischen und zum Nachdenken anregenden Kommentar!

      • Pit Brett

        Hähä hallo Julia,

        nein, mein Name ist tatsächlich Pit Brett. Die Ahnenforschung hat ergeben: Ich bin der Schpezialschwager dritten Grades von Bob dem Baumeister. Etwagie Ähnlichkeiten mit unverschämt gutaussehenden Schauspielern sind rein zufällig.

        Ich finde es lustig, dass ich als “Kirchenmensch” bezeichnet werde. Klingt bisschen so nach “Hochwürden”… Im wahren Leben betreibe ich eigentlich Laserforschung mit dem Ziel der Weltherrschaft. Die werde ich dann natürlich in die Hände der evangelischen Kirche geben ;).
        Nein Schpass. Ich habe nur einfach den Standpunkt, zur Kirche gehören zu wollen und auch das viele Gute darin sehen zu wollen, egal was irgendwelche Oberen sagen und obwohl ich immer wieder anderer Meinung bin als andere “Kirchenmenschen”; ich habe mich viel gefetzt mit anderen über genau dieses Thema und ich kann andererseits sagen, ich bin bei weitem nicht der einzige “Kirchenmensch”, dem es nicht im Traum einfallen würde, die Petition zu unterschreiben und der einen äquivalenten Denkansatz in der Homo-Debatte vertritt.
        Ich persönlich finde trotzdem, dass in der Kirche der richtige Ort für mein Engagement (mal mehr, auch mal weniger…) ist und für mich der richtige Ort zu glauben. Deshalb auch meine Sicht der Dinge mit dem Drinbleiben und Mitwirken.
        Ich sage natürlich nicht, dass Glaube und Kirchenaustritt sich ausschließen. Und finde deinen Schritt auch okay, selbst wenn ich es nicht so machen würde.

        Ich hätte noch einen Link eines “echten” Kirchenmenschen anzubieten, den ich entfernt kenne und der sich persönlich und einigermaßen beeindruckend zu diesem Thema geäußert hat.
        http://flohs-welt.de/blog/2014/01/12/ich-bin-schwul/

        “Tebartzen” ist laut Duden eigentlich selbstgefällig und scheinheilig sein in Verbindung mit dem Protzbauen, ich hab es halt mal im weiteren Sinne verwendet.

        • Kommentar des Beitrags-Autors

          😀 😀
          Ich danke Dir für den Kommentar, und natürlich auch für den Link!
          Eine Erfahrung, die ich nun durch diesen Blogpost gemacht habe, bestätigst Du mit Deiner Ansicht: Es gibt genügend Menschen, die das Verhalten ihrer obersten Repräsentanten kritisieren, und ich bin darüber froh und dafür dankbar. (Siehe auch idpet.Nachtrag.)

          Leider ist die Kirche – auch ein Versäumnis – als Institution noch weit weg von einer demokratischen Struktur, wie ich sie mir wünschen würde. Das habe ich mir auch schon immer gewünscht, aber so lange es wenig Defizite mit sich bringt, ist es ja nicht so auffällig. 🙂
          Vielleicht sehen wir irgendwann, dass sich das ändert. Und vielleicht sind es Menschen wie Du, die (hoffentlich ohne Laser ;)) diese notwendigen Veränderungen mitgestalten. Und Menschen wie ich werden vielleicht darüber schreiben. Und dankbar sein!

  7. “Außer, sie sind schwul, lesbisch, transgender, queer oder haben eine andere von der „Norm“ (TM) abweichende sexuelle Identität. ”
    Sie haben transsexuelle Menschen und intersexuelle Menschen vergessen. Warum? Intersexualität- haben nichts mit “Identität” zu tun, sondern sind der lebende Beweis dafür, dass geschlechtliche Vielfalt nichts ist, was erst der gesellschaftlichen Identifikation bedarf. Übrigens bin ich auch vor ein paar Tagen aus der Kirche ausgetreten. Ich würde aber sofort überall auch da austreten, wo trans- und intersexuelle Menschen ausgeklammert werden, obwohl diese von der Ausgrenzung geschlechtlicher Normvarianten nicht unwesentlich betroffen sind.

    • Kommentar des Beitrags-Autors

      Sie haben Recht. Ich beziehe mich hier vor allem auf diejenigen, von denen bestimmte Teile der Gesellschaft offenbar meinen, sie mit “Umerziehung” zum “Normalen” bewegen zu können. Trans- und Intersexuelle sind tatsächlich zwar von der Diskriminierung betroffen, aber, da es immerhin wenigstens keinerlei Zweifel an ihrem biologischen Vorhandensein gibt, nicht von der Frage nach der sexuellen Identität. Nichtsdestoweniger hätte ich mich auf alle im Lehrplan erwähnten Gruppen beziehen sollen, denn alle sind Opfer von Diskriminierung bis hin zum Unsichtbarmachen. Danke, ich werde das ändern.

      • “da es immerhin wenigstens keinerlei Zweifel an ihrem biologischen Vorhandensein gibt”. Natürlich gibt es da Gruppen, die daran heute noch zweifeln. Was meinen Sie, warum es noch so etwas wie genitale Zuweisungsoperationen gibt, bei denen Babys, die mit “uneindeutigen” Genitalien geboren werden, mal das Anpassungsskalpell angesetzt wird? Was meinen Sie, warum transssexuellen Menschen noch heute unterstellt wird, sie hätten eine psychische Störung namens “Gender Dysphorie”? Medizin und Psychologie geben sich da die Hand, wenn es darum geht, Menschen, die per Geburt von der Norm abweichen, zu vereindeutigen bzw. an ein Weltbild anzupassen, in welchem immer noch behauptet wird, Menschen seien das Abbild von Adam und Eva. Da wird nicht das Weltbild angepasst, sondern Menschen werden an das Weltbild angepasst. Das muss man sich mal vorstellen…

  8. Chavale

    Auch ich bin Gemeindepfarrerin und dankbar für Ihren offenen Brief, bei dem ich vieles nur unterstützen kann.
    Für mich ist die Botschaft Jesu einer Botschaft der Freiheit und der Akzeptanz. Jesus selbst hat diverse gesellschaftliche Grenzen überschritten und damit gezeigt, dass Geschlecht, Religon, kulturelle Herkunft und (ich ergänze: sexuelle Orientierung) für ihn nicht zählen.
    Diese im wörtlichen Sinn liberale Botschaft möchte ich weitersagen und dafür eintreten, dass sie auch gelebt wird.
    Ich wünsche mir, dass in unserern Gemeinden Platz für alle Menschen ist und bin froh, dass ich in einer offenen Gemeinde Pfarrerin sein darf.
    Und gerade deshalb bin ich von dem Verhalten bzw. dem nicht-Verhalten unserer Kirchenleitung enttäuscht. Und daher wünsche ich mir, dass Menschen sich so wie Sie es in ihrem Brief taten, öffentlich äußern. Allerdings halte ich es auch für wichtig, der Kirche dann nicht den Rücken zu kehren, sondern in ihr und mit ihr die Gesellschaft zu verändern. Denn “heimlich still und leise” zu gehen (was Sie in diesem Fall ja nicht taten) halte ich für schwierig. Im Gegenteil- nur wo auf die Vielfalt unserer Landeskirche hingewiesen und sie sichtbar gemacht wird, kann Veränderung stattfinden. Dann haben diejenigen, die meinen die Wahrheit und Gottes Ratschluss gepachtet zu haben, nämlich keinen Grund mehr zu sagen, dass es “anderssein” nicht gibt. Ich kann Sie also nur ermutigen, weiterhin Ihre Meinung so deutlich kundzutun- aber auch, dass Sie sich überlegen, vielleicht beim Pfarramt Ihres Vertrauens wieder in die Kirche eintreten. 😉

  9. Hi Juna!

    Weißt du, was mir an deinem Text ganz besonders gut gefällt? Diese Aussage:

    Was ist denn das oberste, alles andere weit hinter sich lassende, Gebot Gottes, das er uns so dringend eintrichtern wollte, dass er dafür seinen eigenen Sohn geschickt hat? Und gegen welches Gebot verstoßen Sie mit Ihrer offiziellen Haltung zur „Ideologie des Regenbogens“, wie es so diffamierend bezeichnet wird?

    Durch Gespräche mit Dir lange im Vorfeld zu diesem Artikel weiß ich, dass du das höchste Gebot schon lange vor dem von Dir verlinkten Zeitungsartikel kanntest. Ich vermute auch mal, dass du selbst irgendwie an Gott glaubst, denn andernfalls würdest du dich hier nicht zu Recht über die Haltung der Kirche zu diesem Thema aufregen.

    An dieser Stelle möchte ich auch noch mal an Martin Luther erinnern, der gewisser Maßen der erste Netzevangelist ist, den ich benennen würde. Martin Luther hat den wichtigsten Text ins Deutsche verfasst, damit wir alle ihn lesen können und nicht den ganzen Müll der Kirche ungefragt glauben. Gutenberg hat den Buchdruck erfunden und das Wort der breiten Masse zur Verfügung gestellt. Der Buchdruck war damals die einzige Möglichkeit die Masse zu erreichen. Ohne die Übersetzung von Martin Luther wäre der Buchdruck ziemlich uninteressant gewesen und ohne die Erfindung des Buchdrucks, hätte die Übersetzung von Martin Luther nicht die breite Masse lesen können. Das damalige Netz stand aus Büchern und aus Thesen, die man an eine Kirche schlagen musste (Thesen waren gewissermaßen das erste Blog).

    Wie auch immer man über diese Geschichte denken mag: dank ihm können wir bis heute alle nachlesen, wenn die Kirche anfängt den Glauben als Waffe gegen Menschen einzusetzen. Wir können uns im richtigen Moment von der Kirche distanzieren. Mit uns wird es keine weiteren Hexenverbrennungen und auch keine Schwulen- und Lesbenanfeindungen geben!

    Wenn du einen guten Film in einem schlechten Kino siehst, wirst du hinterher nicht sagen, dass der Film schlecht war.

    Ich denke, so verhält es sich auch mit dem Glauben. Wir müssen eben auch dem Willen von Martin Luther folgen und uns selbst informieren und nicht dem Hass und der Abgrenzung folgen, welchen die christlichen Taliban propagieren. Gott gab uns einen Kopf zum Denken. Nutzen wir ihn. Du hast einen sehr schönen Artikel geschrieben und ich kann deine Meinung wirklich gut nachvollziehen.

    Ich werde dennoch in der Kirche bleiben. Wenn wir alle austreten geht eben nicht nur die Kirche kaputt sondern auch ein großer Teil unserer Kultur, unserer Identität und nicht zuletzt auch das ein oder andere Stadtbild. Zu einem europäischen Stadtbild gehören eben auch die schönen alten Kirchen, die im Unterhalt immer teurer werden. Auf dem Land hat es begonnen, dass diese alten Gemäuer immer mehr vergammeln, weil Reparaturkosten nicht mehr bezahlt werden können.

    Ich finde es richtig sich von der Institution Kirche bei solch einem Hass zu distanzieren. Ich finde es aber auch schade, wenn der Hass die Ursache für den Untergang zumindest für einen Teil unserer Kultur und Kulturgeschichte verantwortlich ist. Das würde mir eben auch weh tun. Ich fände es ehrlich gesagt schöner, wenn wir die alten Gemäuer mit Leben füllen würden…

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