Seit einigen Jahren stellen der Gatte und ich fest, dass wir zu diesen Paaren gehören, die am besten aus dem Urlaub in die Nacht hinein fahren. Warum, wissen wir nicht. Und dass das etwas Besonderes ist, wissen wir auch erst seit einiger Zeit. Die meisten Familien fahren nämlich nach einer anderen Zeitplanung.
Wir genießen das abendliche Losfahren, die späte Abendessen-Pause mit den Kindern und die nächtlichen Autobahnen. Nicht nur, weil wir häufig zu diesem Zeitpunkt am meisten Kilometer gut machen können.
Irgendwie hat sich dabei ein Modus etabliert: Der Gatte übernimmt den ersten und damit auch den Hauptteil der Strecke. Ich fahre meist die Nachtschicht, so ab 12, 1, 2 … je nach Route. Dann kuschelt sich der Gatte in den Beifahrersitz, erteilt letzte Anweisungen und ich bin – wenn alles gut läuft – alleine mit dem gleichmäßigen Motorengeräusch, der Vibration des Autos und der Straße.
Während irgend ein Radiosender seichten Pop spielt, höre ich die regelmäßigen Atemgeräusche meiner Liebsten und fühle Zeitlosigkeit.
Überhaupt bin ich vermutlich ein Nachtmensch, durch das Familienleben seit Ewigkeiten aus dem eigenen, produktiven Rhythmus gerissen. Zu einer gesellschaftlich akzeptierten Zeit Einschlafen ist ein Vernunftsakt, den ich jeden Tag bereitwillig begehe. Wirklich frei fühle ich mich in der schwebenden Nacht.
Bei der Übernahme des bisher eher unbekannten Steuers hinter Lyon – noch vor einem Jahr hatte ich wider besseren Wissens behauptet, dieses “dämliche und viel zu große Auto” auf keinen Fall fahren zu wollen – bin ich unbeholfen, verwechsele die zig Knöpfe und habe Angst vor der nächsten Mautstelle. Die Ruhe der Nacht, die Straßenlage des Autos (“Wie auf Schienen!” höre ich den Gatten in meinem inneren Ohr) und das aufziehende Gewitter, das wir mit seinen waagerechten Blitzen scheinbar auf fast 200 km vor uns hertreiben, beruhigen mich. Nach einer halben Stunde fühle ich mich wohl, beschleunige auf Normalgeschwindigkeit und genieße das Wetterleuchten direkt voraus.
Alles ist ruhig, alles ist im Fluss. Die Reisegeschwindigkeit beträgt ca. 130 km/Std. Im Radio spielen sie “How Do You Do” von Roxette. Ein Moment, hier, ganz im Jetzt, geschenkt auf der Reise nach Hause.
zeilentiger
Das ist sehr schön. Willkommen zuhause!
junebug
Verspätetes Danke!
Claudia
“Warum, wissen wir nicht.”
Doch, du beschreibst es ja sehr schön – und sagst es in der Überschrift.
Das “Hier und Jetzt” ganz entspannt genießen – das geht besser unterwegs und nachts. Beides zusammen als besonders schön zu empfinden ist also gewiss nicht verwunderlich!
“Unterwegs” deshalb, weil man sich auf dem Weg von A nach B für ein Verkehrsmittel entschieden hat – und dass dann auch so “abarbeitet”. Sprich: in der ZEIT, die der Weg ja auch bedeutet, ist man entlastet vom ständigen Entscheidungsdruck, was JETZT zu tun sei, um die Dinge am Laufen zu halten. Es läuft bereits… also ist mal der Kopf und auch das Herz ein bisschen freier als sonst.
“Nachts” deshalb, weil die Tradition der Schlafenszeit noch eine der wenigen Gemeinsamkeiten darstellt, die die vernetzten Individuen heute noch verbindet. So kann man also im kollektiven Unbewussten baden und die Nacht als Auszeit von den Erwartungen genießen!
junebug
Vielen Dank, Claudia, für diese wunderbare Erklärung! Nun habe ich sie zum bestimmt fünften Mal gelesen und jedes Mal heftig genickt. Sehr schön erfasst und beschrieben.
Mama notes
Wunderschön! Ich will sofort losfahren. Also, wenn es dunkel wird <3
junebug
:*
Katja Grach (@krachbumm_com)
Ha, wir sind gerade auch so vom Urlaub nach Hause. Schon wieder. Bei uns ist es eigentlich mehr aus dem Grund, dass ich das Autofahren mit einem 2jährigen tagsüber in der Hitze unerträglich finde. So fahren wir meist sehr früh los und eben auch erst spät nach Hause, damit er schlafen kann.
Außerdem find ich es wunderbar den ganzen Tag noch zu genießen und gemütlich noch mal ins Restaurant zu gehen bevor wir abreisen. Irgendwann angekommen, fallen wir ins Bett und et voila sind wir am nächsten Tag wie durch Zauberei daheim und es ist ok.
Das Heimkommen untertags führt bei mir allerdings immer wieder zu Enttäuschung – ganz egal ob ich alleine oder mit Anhang unterwegs bin. Da sind die Tage dann so angerissen und mensch räumt noch herum, wäscht die Wäsche oder was auch immer und will eigentlich noch lieber dort sein. Die Gedanken sind es jedenfalls noch. Im Dunkel der Nacht wiederum haben sie Zeit, sich auf den Weg zu machen. Bei mir zumindest. Und ich meckere dann nicht rum. Was ich sonst wirklich immer nach dem Heimkommen mache…
junebug
Danke Dir!
Ja, diesen “Letzten Tag genießen”-Aspekt kenne ich auch. Obwohl es bei uns oft so ist, dass wir den ganzen Tag über auch Packen und Aufräumen. Aber eben nebenbei, ohne großartigen Zeitdruck. Das macht es für uns schon vor dem Fahren entspannter. Schön, dass auch andere das so empfinden. 🙂 Wir erhalten oft sehr verständnislose Blicke. *grins*
DerBerberich
Einfach Danke für das Eintauchen in den Moment. Kann ich gut nachvollziehen.
Steffen
Witzig, dass ich diesen Post grad jetzt lese, und dass dieses “zeitlos im Moment” schweben so explizit darin vorkommt. Genau das habe ich vor nicht mal einer Stunde als etwas bezeichnet, das wir uns als Erwachsene von Kindern abschauen sollten: Die Zeitlosigkeit des Moments, die Losgelöstheit, das Schweben. <3