Prolog:
Ich werde für diesen Blogpost eine der ganz seltenen Ausnahmen machen. Ich werde nämlich die Existenz der Bild-Zeitung als solche zur Kenntnis nehmen. Nachdem ich mir das, was ich unbedingt sagen möchte, vom Herzen geschrieben habe, kehre ich zurück zur No-Bild-Policy (Nicht darüber reden, nicht kommentieren, nicht retweeten und schon gar nicht unabsichtlich lesen, selbst wenn Ihr sie zu Hunderten abfotografiert). In diese Policy schließe ich nach dieser Woche noch ein paar andere Medien ein, als Beispiele nenne ich gerne (und damit zum letzten Mal) Die WELT sowie das so genannte Magazin EMMA. Ferner den Sender N24. Und RTL. Rein aus Prinzip noch RTL.
Unnötig zu erwähnen, dass für viele Menschen in Deutschland aus eigener, tatsächlicher Betroffenheit durch den Verlust von Angehörigen eine der schlimmsten Wochen ihres Lebens zu Ende geht. Meine Anteilnahme und mein tiefes Beileid allen Angehörigen.
Die unterschiedlichen Reaktionen auf den Absturz sowie die Kritik an diesen Reaktionen bestimmten diese Woche die sozialen Netzwerke:
Es ist ein psychologischer Fakt, dass uns die Unglücke, mit denen wir uns identifizieren können, mehr betreffen als andere. Darüber zu reden, dass das eine Unglück schlimmer ist als ein anderes ist ebenso sinnlos wie zynisch – siehe auch die Diskussion um Charlie Hebdo. Wäre ich selbst vor wenigen Jahren haltlos in Tränen ausgebrochen, als ich von der jungen Mutter mit 7-monatigem Baby an Bord hörte, sind es heute die Schulkinder, die mir am meisten zusetzen. Das ist als Tatsache einfach mal zu akzeptieren.
Interessanter als das Gerangel um die Fürchterlichkeit verschiedener Ereignisse ist, was diese Woche mit uns nicht direkt Betroffenen, sprich: mit der Gesellschaft als solches, gemacht hat. Das Unglück war uns nicht egal. Oder zumindest weit weniger egal als so viele andere Katastrophen, die sich beinahe täglich ereignen. Und als würde umfassendes Wissen über die Unglücksursache, die Passagiere, ihr Leben oder ihre Profile auf twitter irgend etwas an den Toten ändern, wollten wir alle genau das – und zwar sofort. Die Folgen beschreibt Frau Meike:
Leider blieb unser deutsches Schundblatt nicht die einzige Quelle affektheischender Berichterstattung:
Die Kolumnen, die Headlines, die Nennung von Klarnamen bereits auf der Pressekonferenz … aus journalistischer Perspektive ist diese Woche eigentlich alles falsch gelaufen, was hätte falsch laufen können. Dennoch erschraken die meisten von uns erst so richtig, als die Kamerateams das Wohnhaus des Co-Piloten zu belagern begannen. Erst da wurde klar: Wir alle als Gesellschaft haben – ohne es zu wollen oder absehen zu können – eine Grenze überschritten. Heiko ergänzt den Blogpost von Frau Meike wie folgt:
Vielleicht können wir uns (ich schließe mich da ein) ja mal fragen, warum wir eigentlich unmittelbar – und damit meine ich in den ersten Minuten und Stunden – meinen, wir müssten alles an Fakten, Erklärungen, Hinweisen über die Gründe einer solchen Tragödie erfahren? Und warum überhaupt wir mit genau dem Verhalten all diesen Schreiberlingen das Publikum bieten, dass sie dann mit Spekulationen, Halbwahrheiten und Geschmacklosigkeiten bedienen?
Warum schaffen wir es nicht, entsetzt, verstört, betroffen und sonstwas zu sein, und es einfach aushalten, dass wir _nicht wissen_, welche Gründe dahinter gesteckt haben könnten? Warum richten wir unsere Empathie nicht darauf, was es wohl für Eltern bedeutet, ihre Kinder zu verlieren, für Paare einen Partner zu verlieren, für Kollegen einen Chef zu verlieren usw.? Warum glauben wir, wir müssten immer alles wissen? Und zwar sofort?
Statt aber unser eigenes Erschrecken auszuhalten und darüber zu reflektieren, machen wir einfach die nächsten Schuldigen aus. Seit kurzem ist eine Petition gegen Kolumnenschreiber Wagner von der BILD online. Weitere werden mit Sicherheit folgen. Dabei ist diese Form der “journalistischen Berichterstattung” lediglich der Geist, den wir riefen. Nicht wir im Einzelnen, sondern wir als Gesellschaft. Aus unserer eigenen Hilflosigkeit geboren, in die Kanäle der sozialen Medien gegossen. Die differenzierten, leiseren Stimmen gehen im allgemeinen Gebrüll unter, oder zogen sich von vorne herein zurück, weil sie es nicht aushielten. Und nun fordern wir lautstark den nächsten Kopf.
In einem anderen Zusammenhang hat es Marco vor kurzem wie folgt ausgedrückt:
…
Nun können wir dieses Ereignis als Möglichkeit nehmen, über unser eigenes Verhalten zu reflektieren. Im Umgang mit den angesprochenen Medien hilft ausschließlich der Entzug der Aufmerksamkeit. Redet nicht über die BILD, fotografiert die BILD nicht, kauft sie nicht, teilt nicht mit, wie sehr Ihr Euch über sie ärgert, unterschreibt keine Petitionen … Drückt Euren Unmut konstruktiver aus und beschwert Euch beim deutschen Presserat über die Berichterstattung.
Fragt Euch, was Ihr zu welchem Zeitpunkt wissen wollt/ müsst, und was Ihr dafür bereit seid, in Kauf zu nehmen.
Reflektiert über Eure eigenen Annahmen und Vermutungen. Findet für Euch einen Weg des respektvollen Umgangs und der Trauer und Anteilnahme, auch online.
Epilog:
Aushalten – Akzeptieren – Abwägen.
Die einzigen allgemein zu formulierenden Vorgaben in dieser kollektiven Suchbewegung.
Und nun? Nun kehre ich zurück zu meiner erweiterten No-Bild-Policy.
Wenn Ihr noch ein paar mehr Stimmen jenseits der Mainstreammedien lesen wollt, findet Ihr hier eine kleine weitere Auswahl:
BobBlume über twitter während einer Katastrophe
Makellosmag über das Fliegen am 24. und Anteilnahme
(Beitragsbild: Ein Flugzeug schien mir unpassend. Ich brauche neue Bilder für mein Blog ….)
3 Antworten zu ““Ausnahmejournalismus” und Trauer im Netz”
“Statt aber unser eigenes Erschrecken auszuhalten und darüber zu reflektieren, machen wir einfach die nächsten Schuldigen aus.” Sehr, sehr guter Satz. Mehr will ich zu dem ganzen Thema nicht sagen.
Vielen vielen Dank für den Post. Spricht mir aus dem Herzen.
Zitat: “Aushalten – Akzeptieren – Abwägen.”
und Überleben
Zitat: “Die differenzierten, leiseren Stimmen gehen im allgemeinen Gebrüll unter, oder zogen sich von vorne herein zurück, weil sie es nicht aushielten.”
ihnen Raum geben!