Das Netz ist das, was Du draus machst

Wege zur Selbstständigkeit

Selbstständigkeit: Berufliche Weiterbildung und der schnöde Mammon

Hier ist ein Bild von meinen Visitenkarten mit Logo zu sehen. Man kann die Website www.karmajob.de erkennen.

Mein Projekt karmajob ist offiziell angelaufen, und zur Zeit stecke ich viel Energie in die Ausarbeitung meines Trainings, während ich weiter ehrenamtlich schreibe. Nebenbei versuche ich, durch kleine, bezahlte Aufträge etwas Geld in die Kasse zu spülen. Zwar verfolge ich mit karmajob einen Traum, but there´s bills to pay. Und obwohl ich lieber positiv in die Zukunft schauen will als über meine berufliche Situation, deutsche Aus- und Weiterbildungssysteme oder gar über den Kapitalismus im Allgemeinen zu mimimi-en, passiert es doch immer wieder. Aktuell ist Geld ein Thema. Beziehungsweise das Nicht-Vorhandensein desselben. In Kombination mit meinen Lebensentscheidungen.

Wenn ich eine Kurzbio oder ein Autorenprofil von mir angeben soll, dann schreibe ich meistens über mich selbst: „Verfolgt den Plan, künftig nur noch vom Schreiben zu leben“. Allerdings scheint mir dieser Plan mangelbehaftet, und das liegt an der Kohle. Also, am Nicht-Vorhandens… das hatten wir schon. Geld muss also her.

Da ich nur wenig Erfahrung in der Suche nach Aufträgen habe, schloss ich mich mehreren Plattformen an. Eine davon, Texter-Jobs auf facebook, vermittelt kleine Aufträge und postet Stellenanzeigen für Festanstellungen. (Hippe Berliner Unternehmen suchen übrigens festangestellte Texter. Nur, falls das gerade jemand wissen wollte.) Eine weitere Plattform, Scribers(Hub), befindet sich noch im Aufbau. Die Initiatorin veranstaltet aber regelmäßig Webinare: Barrierearme und für die Mitglieder kostenlose Möglichkeiten, sich weiterzubilden.

Weiterbildung kann zu Geld führen, und so nehme ich das Angebot von Scribers(Hub) gerne wahr. Ich logge mich also für mein erstes Webinar ein. Zwei Texter/Dozenten aus Hamburg erzählen, wie das mit dem „Texten ohne Kopfzerbrechen“ geht. Die beiden Vortragenden bilden Menschen in der von ihnen gegründeten Texterschmiede zu Werbetextern aus. Zusätzlich veranstalten sie regelmäßig Wochenendkurse zur Weiterbildung. Im Webinar berichten sie von ihren beruflichen Erfahrungen als Agenturtexter: Ich höre mir an, was Briefings vermitteln (und auch, was sie oft nicht vermitteln), wie wichtig es ist, einen Kern für den eigenen Text zu finden, und wie eine Geschichte um diesen Kern herum erzählt werden kann. Dem Webinar lässt sich hervorragend folgen, und auch wenn mir die Techniken nicht neu sind, ist die Vermittlung der Arbeitsweise dicht und hilfreich.

Allerdings manifestiert sich vor meinem inneren Auge ein Problem: In meiner Festanstellung konnte ich auf diese Weise arbeiten. Denn es gab oft sogar mehrere Briefings, ich bekam Änderungen am Produkt mit, fand eine Tonalität, probierte einige Ideen aus und hatte am Ende häufig verschiedene Vorschläge, die in die Ausarbeitung gehen können. So zumindest habe ich meine Tätigkeit als Angestellte empfunden. Freelancer allerdings müssen zeitlich anders kalkulieren. Nach allem, was ich in den Vermittlungsportalen lese, ist die Deadline meist extrem eng, das Briefing häufig nur schriftlich. Stundensätze? Fehlanzeige. Bei den Aufträgen, die über Texter-Jobs vermittelt werden, scheint eine Vergütung pro Wort üblich. Oft sind es 10 cent, wobei durchaus auch mal weniger bezahlt wird.

Ein Rechenbeispiel drängt sich auf: Bei 10 cent macht das 50 Euro für 500 Wörter. Briefing, Ideenfindung, Korrekturen, Rücksprache … alles nicht bepreisbar. Um für eine beispielhaft eingeführte Freiberuflerin rentabel zu sein, muss diese den Auftrag also in insgesamt einer Stunde erfüllt haben, sonst legt sie drauf. Das bedeutet, sie hat für den gesamten Schöpfungsprozess etwa eine halbe Stunde, vorausgesetzt, das Briefing ist kurz und verständlich, und es kommen keine Rückfragen oder Korrekturwünsche.

Gesetzt den Fall, unsere Beispiel-Freiberuflerin braucht für die Aufgabe realistischere fünf Stunden inkl. Briefing, Rückfragen, Administration. Dann verbleiben für den Schöpfungsprozess vermutlich 2-3 Stunden. Sollte sie danach etwas Originelles und qualitativ Hochwertiges abliefern, wäre sie definitiv zu empfehlen! Eine normale Arbeitswoche hat 40 Stunden, das macht bei konsequentem Arbeiten ohne kreative Tiefs 8 Aufträge á 50 Euro. Im Monat sind das hart erarbeitete 1600 Euro brutto.

„Das ist zu wenig!“ rufe ich nach meiner Rechnung. Das Mikrofon ist nämlich stumm geschaltet. Tatsächlich gibt der Spiegel, der den Texterberuf zu den zehn am schlechtesten bezahlten Berufen mit einem Universitätsabschluss zählt, ein durchschnittliches Jahresgehalt von ca. 32.700 Euro an. Das wäre auf den Monat gerechnet nicht ganz doppelt so viel wie im obigen Rechenbeispiel. Da ich allerdings einige freiberufliche Texter kenne, die meiner Rechnung nahe kommen: Wo arbeiten die statistischen Ausreißer nach oben? Wo lässt sich die Kohle scheffeln als Frau oder als Mann des Wortes? Oder zumindest so viel Kohle, dass es für den eigenen Lebensunterhalt reicht?

Während ich beim Seminar mitschreibe und mir bereits das ein- oder andere gedankliche Fragezeichen leiste, surfe ich auf die Seite der Texterschmiede Hamburg. Die Ausbildungsgebühr ist überaus bezahlbar, und die Kurse sind mit (vergüteten!) Praktika in Agenturen verzahnt. Schick! Kurz überlege ich, ob ich mich noch auf meine alten Tage in Hamburg bewerben sollte … vielleicht lerne ich, wie ich Aufträge für 10 cent pro Wort in so kurzer Zeit hinschludere bearbeite, dass es sich finanziell lohnt. Aber ich scheitere an den Kriterien: Ab 32 ist nichts mehr mit der Texterausbildung. Schade eigentlich. Vielleicht wären die von den Dozenten angesprochenen „Meisterkurse“ etwas für mich? Wo „Meisterkurs“ oder „Expertenwissen“ draufsteht, sieht man mich eher im schnellen Lauf von hinten. Aber die beiden wissen, wovon sie reden, und machen im Webinar mit handfesten Tipps gerade ausgezeichnete Werbung für sich. Ein Wochenende Intensiv-Workshop für freiberufliche Texter, Journalisten und Autoren, auf die Arbeit mit Agenturen zugeschnitten? Ich kann ja mal draufklicken.

Einen Moment später bin ich froh, dass mich die Dozenten nicht durch die Webcam sehen können. Denn mir ist die Kinnlade auf die Tastatur gefallen. 1.500.- Euro soll der Meisterkurs kosten, für 2 Tage Intensivworkshop. Unsere fleißige und wie ein Roboter textende Freiberuflerin aus meinem Beispiel muss also das Gehalt von eineinhalb Monaten investieren. Je nach Steuerklasse auch mehr.

Ist die Antwort auf die Frage nach dem besseren Textergehalt also ein Paradoxon? Wenn du allein vom Schreiben leben möchtest, dann vertrödle deine Zeit nicht mit Schreiben? Die beiden Texter machen mit den “Meisterkursen” einen mehr als vorzeigbaren Umsatz, hinzu kommen vermutlich Dozentengehälter aus ihrer eigens gegründeten Schule. Das wären definitiv die gesuchten statistischen Ausreißer. Ich vermute aber auch, dass in Hamburger Agenturen, in die die Schule ihre Absolvent_innen vermittelt, wesentlich mehr gezahlt wird als die popeligen 1.600 Euro brutto. Zumindest hoffe ich das inständig für die ausgebildeten Texter_innen. Ist also eine Festanstellung für jemanden, der tatsächlich schreiben und nicht lehren oder trainieren möchte, das einzig Sinnvolle? Sollte man wirklich niemandem empfehlen, freiberuflicher Texter zu werden?

Ich gebe: „Sollte ich freiberuflicher Texter werden?“ bei google ein. Dass ich da nicht eher drauf gekommen bin! Und prompt rät die Seite „What the fuck should I do with my life?“ der angehenden Beispiel-Freiberuflerin, deren Kopf bereits bei dem Gedanken an die nächsten schlaflosen Monate raucht:

„My first suggestion? Get out now while you still can. Run for the hills. Get a bachelors degree in something like carpentry because at least you’ll get a table out of the deal.“

Der erfrischende, gut gemeinte Rat demoralisiert mich nicht, denn ich beschließe in diesem Moment, dass der Tag zu schön ist, um mich zu ärgern. Immerhin habe ich gerade mein erstes Webinar besucht, das ist doch auch was Tolles. Was solls, denke ich mir also, ich bin ja noch jung, keine 37, und vielleicht ist der Plan, vom Schreiben zu leben, wirklich nicht toll. Ich ahnte ja sowas. Also bleibe ich auf der Seite und klicke ich mich durch die Vorschläge, was ich noch alles mit meinem Leben tun könnte. Bei „Tour Guide“ bleibe ich stehen. Eine alte Erinnerung schaut vorbei. In Göttingen gaben damals häufig die Absolventinnen der Geisteswissenschaften literarische und kulturelle Stadtführungen. Dafür müsste ich mit meinem Lebenslauf, meinen Erfahrungen und dem Doktor in Literaturwissenschaften doch geeignet sein! Die gleiche Erinnerung flüstert etwas von „Hungerlohn“, aber Stadtführungen werden in jedem Fall besser bezahlt als die lumpigen 10 cent pro Wort. Ich rufe also die Seite der Stadt Heidelberg auf, um den Bedarf an meiner Arbeitskraft zu prüfen.

Und erfahre, dass Städtetouren in Heidelberg ausschließlich von zertifizierten Führern angeboten werden können. Die Ausbildung kostet drei volle Lebensmonate und 850 Euro. Nicht alle kommen für den hochwertigen dreistufigen (!!!) Kurs mit anschließender Prüfung infrage, aktuell werden vor allem Menschen mit Arabisch- oder Chinesischkenntnissen gesucht. Aber ich kann mich für die nächste Ausbildungsrunde schon mal vorab bewerben! Bereits 2019 geht es los! Das ist quasi übermorgen!

Dann allerdings werde ich fast 40 sein.  Immerhin: Nicht zu spät für alles, schreibt zumindest der Tagesspiegel.

Mit der Suchmaschinenanfrage „Wann sollte ich spätestens einen Plan für mein Leben haben?“ lande ich im Anschluss an meine Überlegungen auf einer Seite, die mir von Gottes Bestimmung für mich erzählen will. Thematisch ein Griff ins Klo, aber ich bewundere kurz die gute Textarbeit. Hoffentlich war das niemand, der sich mit 10 cent pro Wort hat abspeisen lassen. Irgendwer verabschiedet sich von mir, ich bin ratlos, wer es sein könnte. Dann blinkt das Fenster, in dem gerade das Webinar beendet wird.

„Vom Schreiben leben können“, murmele ich. Und mache den Rechner aus.

Edit: Dieser schöne Tweet von @wortwerken fand sich wenig später in meiner Timeline. Es gibt Hoffnung!

  1. Liebe Julia,

    mein erster Gedanke, als ich las “10 Cent pro Wort”, war: “So viel!” Ich kenne auch Angebote mit 1 ct pro Wort!!! Wer davon leben kann, weiß ich wirklich nicht. So traurig, so wahr.

    In den ersten 5 Minuten eines Telefonats mit einem neuen potentiellen Kunden entscheide ich, ob ich einen “nur-Textauftrag” annehme. Meist reichen mir zur Beurteilung die Antworten auf die Fragen “Wer hat bisher Ihre Texte geschrieben?” und “Welche Arbeitsschritte stecken in einem guten Text?”
    Antworten wie “Student/Praktikant/Texter-Plattformen” inkl. “… hat das schnell erstellt” oder mit “schreibt man so runter” reichen mir, um direkt abzulehnen; denn sie sind eine Aussage über die Wertschätzung und die Vorstellung, wie ein Text entsteht.

    Leider machen die Texter-Plattformen bei vielen Kunden die Preise kaputt und schüren die Vorstellung: “Text ist zum Spottpreis einkaufbar.” Nur Firmen, die bereits mit solchen Texten nichts erreichen konnten, beginnen über die Qualität eines guten Textes nachzudenken; sie merken, dass ihnen etwas fehlt – nämlich ihre Identität, ihr Gesicht. Hier diskutierst du auf einem anderen Niveau mit dem möglichen Kunden.

    Gespannt bin ich auf deine weiteren Erfahrungen mit der o. g. im Aufbau befindlichen Plattform.

    … “Run for the hills” … Musste ich lachen – natürlich über diese Antwort und deine Idee, eine solche Frage bei google einzugeben :-D.

    Herzlichen Gruß aus Limburg
    Deine Manuela

  2. Kannst du mir das Gesetz nennen, nach dem mit 38 für eine Ausbildung Schluss ist? Ich kenne einen, der älter als vierzig war, als er mit der Ausbildung zum Elektriker angefangen hat. Mit 48 hatte er dann den Gesellenbrief.
    LG
    Ulrike

    • Kommentar des Beitrags-Autors

      Danke, Ulrike!
      Nein, leider kann ich Dir das Gesetz nicht nennen. 🙂 Nachdem ich gestern schon mal darauf angesprochen wurde, bin ich auf die Suche gegangen, woher ich die Info haben könnte. Eine Freundin von mir hat letztes Jahr eine Ausbildung gemacht und erzählte mir damals, das sei sozusagen auf den letzten Drücker, mit 38 sei Schluss. Ich suchte das im Netz und stieß auf eine entsprechende Meldung, aber was ich für ein Gesetz gehalten habe, ist keines.
      Ausbildungsbetriebe dürfen immer ausbilden, viele tun das nur sehr ungerne ab einem bestimmten Lebensalter. Ganz interessant ist da dieser Artikel, auf den ich beim Nachschauen stieß: http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/ausbildung-und-beruf-fuer-aeltere-azubi-mit-ueber-30/12069310.html
      Danach könnte ich wohl immer noch Polizistin werden. 🙂
      Also, danke Dir, oben ist falsch, ich werde das auch gleich noch editieren.

  3. Juna, im Ernst: “nur” Texter(in) kann man nicht sein wollen, aus all den Gründen, die du hier so wunderbar aufgeführt hast. Autor(in) für Sachbücher beispielsweise ist leider auch alles andere als unprekär; Ich spreche aus Erfahrung … Und nur vom Fame lebt sich’s halt doch recht schlecht.

    In jedem von uns steckt so viel mehr Potenzial als irgendeine Longcopy hinzuhudeln für einen Hungerlohn. (Erst recht bei gewissen Personen mit Promotion.) Deshalb muss eine Nische her, irgendwas, das zu uns passt und Wertschätzung bietet. Also feste suchen, probieren, bohren. Aufgeben gilt nicht! 😛

    LG Martin

  4. Hallo June,
    vielen Dank auch dafür, dass du anschließend nochmal nachrecherchiert und den tagesspiegel-artikel verlinkt hast.

    LG
    Ulrike

  5. Kai

    Immer wenn ich Texter.innen und Werbung lese … Ich kenne nur sehr, sehr wenige gute Texterinnen im Fundraising (Spendenwerbung). Da wird sehr viel “von der Stange” produziert. Vielleicht wäre das ein denkbares – durchaus auch bezahltes – Standbein. Evtl. angedockt an eine Agentur als Freie.

  6. Sabine

    Hallo June, ich bin seit fünf Jahren selbstständig und gerade dabei, es zu lassen. Mit Text gewinnt man keinen Blumentopf, da kannst Du rackern wie ein Ackergaul. Billig und schnell ist die Devise, Rechtschreibung und Grammatik, wer braucht sowas noch? Der Trash, der produziert wird, ist meist auch keine zehn Cent wert. Ich dachte immer, Qualität setzt sich durch. Nach fünf Jahren sag ich: vergiss es.

Schreibe eine Antwort

%d Bloggern gefällt das: